Kosovo: Aus Katz-und-Maus-Spiel wurde Ernst

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Serbien zieht sich nach Zusammenstößen mit der Kfor-Schutztruppe aus dem Dialog mit Prishtina zurück. Die Krawalle zeigen für Verteidigungsminister Norbert Darabos, dass das Bundesheer vor Ort bleiben soll.

Es fällt schwer, nicht an eiskaltes Kalkül zu glauben: Einen Tag, nachdem Serben aus dem Nordkosovo an einem Grenzübergang zu Serbien einen blutigen Zwischenfall mit der internationalen Schutztruppe Kfor provoziert hatten, zog sich Belgrad am Mittwoch aus dem EU-geführten Dialog mit dem Kosovo zurück – mit Verweis auf genau diese Zusammenstöße. Solange die Situation an den Grenzübergängen nicht gelöst sei, könne Belgrad auch über andere Themen nicht verhandeln, erklärte der serbische Unterhändler Borko Stefanović.

Die Situation hat sich gefährlich aufgeschaukelt: Seit Mitte September versieht an den Übergängen zwischen Serbien und dessen einstiger Provinz neben den Kräften der EU-Mission Eulex auch ein Häuflein kosovarischer Beamter Dienst. Die lokalen Serben protestierten und errichteten Straßensperren. Gleichzeitig befestigten sie in Sichtweite des Übergangs Jarinje einen Bypass, über den Schmuggelware weiter ungehindert die von den Serben nicht anerkannte Grenze passieren konnte.

„Kleiner, gewaltbereiter Kern“

Nachdem die Kosovo-Schutztruppe Kfor diesen Bypass gesperrt hatte, eskalierten am Dienstag die Unruhen, als radikale Serben versuchten durchzubrechen. Ein Serbe soll einem US-Soldaten die Schusswaffe entrissen haben, worauf seitens der Kfor scharf geschossen wurde, wie „Die Presse“ aus dem Umfeld der Truppe erfuhr. Zudem hätten die Serben einen oder mehrere Sprengkörper auf die Soldaten geworfen, die zunächst mit Tränengas und Gummigeschossen reagierten. Am Ende gab es elf Verletzte, darunter vier Kfor-Soldaten.

Kfor-Kommandant Erhard Drews führt die Unruhen auf einen „kleinen, sehr gewaltbereiten Kern schwarz maskierter Schläger“ zurück: Als diese die Szene betraten, hätten sich die anderen, friedlichen Demonstranten zurückgezogen: „Die massive Reaktion zeigt, wie wichtige diese (illegalen, Anm.) Warenströme für die Serben waren“, meinte Drews unmittelbar nach den Unruhen gegenüber österreichischen Journalisten.

Drews nützte die Gelegenheit, Österreichs Verteidigungsminister Norbert Darabos in Prishtina Rosen für die Leistung der derzeit 600 Bundesheersoldaten im Kosovo zu streuen. Für Darabos haben die Krawalle vom Dienstag gezeigt, dass es gerechtfertigt sei, sich weiter an Kfor zu beteiligen: „Die Situation ist nicht so stabil, dass man die Mission beenden könnte. Auch eine abgespeckte Variante sehe ich derzeit nicht“, so Darabos nach dem Truppenbesuch. Unter den Truppenstellern wird eine Reduktion von etwa 6500 auf 2700 Mann diskutiert. „Auch Bosnien ist nicht so weit, dass wir ganz abziehen könnten“, meinte Darabos.

Im Kosovo sei es allerdings sinnvoll, die Kräfte künftig stärker auf den Norden zu konzentrieren. Bisher war ein Großteil der Österreicher ja im Süden des Kosovo stationiert. Dort hat sich die Lage relativ stabilisiert.

An eine rasche Beruhigung der Situation im Norden, wo relativ kompakt 60.000 Serben leben, glaubt Kfor-Kommandant Drews hingegen nicht. Er und sein österreichischer Vize, Brigadier Johann Luif, sprechen von einem Katz- und-Maus-Spiel der Kosovo-Serben mit der Kfor, auf das man sich freilich nicht einlassen wolle: „Natürlich können wir die ganzen Straßensperren räumen, aber sie würden gleich wieder neue errichten“, sagt Drews. Durchgreifen müsse die Kfor nur bei einer akuten Sicherheitsbedrohung. Und so bleibt den Soldaten, Eulex-Beamten und dem jeweils einen Kosovo-Zöllner, die an den umstrittenen Übergängen Dienst tun, derzeit nur der Luftweg.

Angst vor weiterer Eskalation

Derzeit kämen die internationalen Truppen nicht einmal über die wichtigste Brücke, die in der geteilten Stadt Mitrovica den überwiegend albanischen Süden vom serbisch dominierten Norden des Kosovo trennt: An einem riesigen Schotterhaufen ist Schluss. „Das haben die Serben mitten in der Nacht abgeladen“, sagt ein Kfor-Soldat kopfschüttelnd.

Seinem Kommandanten treiben die jüngsten Ankündigungen von Kosovo-Premier Hashim Thaçi Sorgenfalten ins Gesicht: Thaçi will „schon bald“ auch albanische Richter in den Nordkosovo schicken, wie er nach einem Treffen mit Darabos sagte. Das werden die lokalen Serben nicht hinnehmen: Dann könnte es noch weit stärkere Unruhen geben, fürchtet Drews.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2011)

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