Die Kommission der Europäischen Union will mit einer europaweiten Steuer ab 2014 den Hochfrequenzhandel, also das schnelle Geschäft von Spekulanten, an Börsen eindämmen. Private wären nicht oder kaum betroffen.
Brüssel/Wien. Geht es nach dem zuständigen EU-Kommissar Algirdas Šemeta, so wird ab Jänner 2014 in der gesamten Union eine Finanztransaktionssteuer eingehoben. Um sie auch den bisherigen Skeptikern schmackhaft zu machen, soll sie vornehmlich auf Finanzinstitute abzielen, die einen riskanten Hochfrequenzhandel betreiben. „Bürger und Unternehmen wären von der Steuer ausgenommen“, heißt es im Vorschlag der Kommission. Hypotheken, Kredite, Versicherungsverträge und andere normale Finanztätigkeiten fallen nicht in den Anwendungsbereich des Vorschlags.
„Die Steuer soll den Hochfrequenzhandel eindämmen. Diese Finanzinstitute müssten sich dann andere Geschäftsfelder suchen und wieder verstärkt in die Realwirtschaft investieren“, so Šemeta. Der Hochfrequenzhandel, also das schnelle Geschäft von Spekulanten, die im täglichen Handel Kurssteigerungen und Kurseinbrüche für ihre Gewinne nutzen, macht freilich nur 50 Prozent des Geschäfts aus. Laut Kommission würde der Vorschlag aber 85 Prozent aller Finanzgeschäfte treffen.
Der Handel mit Aktien und Anleihen soll mit 0,1 Prozent, Derivatkontrakte mit 0,01 besteuert werden. Die Steuer würde nach Berechnung der EU-Kommission jährliche Zusatzeinnahmen von 57 Milliarden Euro bringen, die zwischen der EU und den Mitgliedstaaten aufgeteilt werden könnten. „Diese Einnahmen sollen helfen, die Haushaltsprobleme wieder in Griff zu bekommen“, so Šemeta. Außerdem müssten die Mitgliedstaaten weniger in den EU-Haushalt einzahlen.
Nach wie vor lehnt Großbritannien die Einführung einer solchen Steuer ab. Ein Veto würde eine europaweite Einhebung der Steuer verhindern. Denn in Steuerfragen ist die Einstimmigkeit der EU-Regierungen Voraussetzung. Dennoch ist die EU-Kommission optimistisch, dass letztlich alle Mitgliedstaaten zustimmen. Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) hat den Vorstoß der Kommission ausdrücklich begrüßt.
Auswirkung auf Wachstum
Kommissionspräsident José Manuel Barroso: „Es ist eine Frage der Fairness, dass, wenn unsere Bauern, unsere Arbeiter, wenn alle wirtschaftlichen Sektoren von der Industrie über die Landwirtschaft bis zu den Dienstleistungen einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten, auch der Bankensektor dies tut. Es ist fair, finanzielle Aktivitäten zu besteuern, die in manchen unserer Mitgliedstaaten keinen entsprechenden Beitrag für die Gemeinschaft bezahlen.“ Die EU-Kommission gesteht freilich ein, dass die Steuer nicht nur positive Auswirkungen hätte. Als Nebeneffekt könnte sich das Wirtschaftswachstum um 0,5 Prozent reduzieren.
Die Erarbeitung des Vorschlags für die Finanztransaktionssteuer war von heftigen Interventionen begleitet, berichtet EU-Justizkommissarin Viviane Reding. Lobbyisten aus der Finanzbranche hätten versucht, Einfluss auf die Kommission zu nehmen. So hätten „vor allem britische Interessenvertreter Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um das zu verhindern“, sagte Reding in einem Gespräch mit der „Zeit“.
Kommissionspräsident Barroso hat sich indessen gegen den Vorstoß von Frankreich und Deutschland zur künftigen wirtschaftspolitischen Lenkung der Union gestellt. Er lehnte in einer Rede vor dem Europaparlament die Bildung einer Wirtschaftsregierung auf Ebene der Staats- und Regierungschefs ab. „Die Kommission ist die wirtschaftspolitische Regierung der Union.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2011)