London lehnt die EU-Transaktionssteuer ab

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Die Pläne aus Brüssel würden nicht nur dem Finanzplatz, sondern ganz Europa schaden, warnen Politiker und Experten. „Völlig fehlgeleitet“, urteilte die „Confederation of British Industrie“.

London. Im fernen Brüssel müssten EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso diese Woche die Ohren klingeln: So lautstark und empört sind in Großbritannien die Reaktionen auf die geplante Einführung einer EU-weiten Finanztransaktionssteuer. „Völlig fehlgeleitet“, urteilte die wichtigste Industrieorganisation, die „Confederation of British Industrie“ (CBI). „Das ist keine EU-Steuer, dass ist eine Abgabe auf den Finanzplatz London“, wetterte die konservative Europaabgeordnete Kay Swinburne aus Wales. Die britische Regierung droht mit ihrem Veto.

Nach dem Plan sollen ab 2014 der Handel mit Aktien und Anleihen innerhalb der EU mit 0,1 Prozent und Derivatgeschäfte mit 0,01 Prozent besteuert werden. Die Kommission will so den „Hochfrequenzhandel“, bei dem Spekulanten die täglichen Kursschwankungen für Gewinne nutzen, eindämmen und außerdem den Bankensektor an den Kosten der Finanzkrise für die Gemeinschaft beteiligen. 80 Prozent der betroffenen Börsengeschäfte werden über London abgewickelt. „Warum soll ausgerechnet Großbritannien für die Währungskrise der Eurozone bezahlen, wo es noch nicht mal Mitglied ist? Das ist doch ungerecht“, sagt Phillip Booth vom Londoner „Institute of Economic Affairs“ (IEA) zur „Presse“. Die Steuer „würde den führenden Finanzplatz in Europa schädigen, weil viele Transaktionen künftig in Hong Kong oder New York abgewickelt würden“, fürchtet auch Neil Bentley, Vizedirektor des CBI.

Finanzminister George Osbourne äußerte sich nicht, ließ aber über einen Sprecher die bekannte Position der Regierung verkünden: Man habe zwar grundsätzlich nichts gegen eine Finanztransaktionssteuer – aber nur, wenn sie weltweit eingeführt wird. Die vorgeschlagene EU-weite Abgabe werde die britische Regierung mit allen Mitteln – sprich ihrem Veto – bekämpfen. Bestenfalls, so heißt es, wird sich Großbritannien mit der Einführung der Steuer innerhalb der Eurozone einverstanden erklären.

Aber auch diese abgespeckte Variante wäre problematisch, warnt Professor Booth. „Für die Eurozone ist die Einführung dieser Steuer nur dann sinnvoll, wenn sie gleichzeitig dafür sorgt, dass Transaktionen in Euro auch künftig nur in der Eurozone abgewickelt werden. Bislang läuft ein Großteil dieser Geschäfte noch über London.“

Abgesehen von den Auswirkungen auf Großbritannien schade die Abgabe ganz Europa, warnt Industrie-Vertreter Bentley – und verweist auf die Prognose der EU-Kommission: Demnach soll die Steuer zwar 57 Milliarden Euro jährlich in die Steuersäckel von Brüssel und den EU-Mitgliedsländern spülen. Aber sie würde auch das Wirtschaftswachstum in der EU um 0,5 Prozent dämpfen. „Die Analyse der Kommission selbst zeigt, dass die Steuer das EU-BIP um mehr als 100 Milliarden Euro drücken würde“, so Bentley. „Dabei müsste jetzt alles für mehr Wirtschaftswachstum getan werden.“

„Nur noch mehr Pulver ins Fass“

Auch Finanzwissenschaftler Booth warnt, dass die Steuer Europa mehr Schaden als Nutzen bringt: „In Schweden, wo es diese Steuer eine Weile gab, hat sie nur drei Prozent der erwarteten Einnahmen gebracht, weil die Zahl der Transaktionen einbrach. Die Leute haben ihre Geschäfte woanders abgewickelt oder Wege gefunden, die Steuer zu umgehen.“ Das Argument, es sei nur fair, auch die Banken, die nach der Finanzkrise 2008 mit Billionen Euro an Steuergeldern gerettet wurden, an den Kosten der Krise zu beteiligen, lässt Booth nicht gelten: „Man darf die Banken nicht im Nachhinein für etwas bestrafen, was sie vor drei Jahren falsch gemacht haben.“ Das derzeitige Hauptproblem sei schließlich die Schuldenkrise und die Kapitalschwäche der Banken. „Jetzt eine Steuer vorzuschlagen, die weitere 50 Milliarden Pfund aus dem Bankensektor zieht, finde ich ehrlich gesagt bizarr.“

Für Sam Bowman, den wissenschaftlicher Leiter des libertären „Adam Smith Institute“, wird die Abgabe „genau das Gegenteil dessen bewirken, was die EU will – die Märkte würden noch unberechenbarer, weil die Händler weniger, aber dafür größere Transaktionen machen und dadurch größere Sprünge in den Finanzmärkten verursachen würden.“ In Anspielung auf die Einführung des Euro setzt der Wissenschaftler süffisant hinzu: „Ein Jahrzehnt, nachdem Europas Politiker das größte finanzielle Pulverfass aller Zeiten geschaffen haben, sollte man meinen, dass sie mit etwas mehr Bescheidenheit darangehen, die Finanzmärkte zu besteuern. Stattdessen wollen sie jetzt noch mehr Pulver ins Fass geben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2011)

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