Igor Bauersima schreibt die „Traumnovelle“ neu: ein ambivalentes Erlebnis, teils überraschend, teils missglückt. Die Produktion ist kein großer Wurf, aber sie hat einige gute, ja ausgezeichnete Passagen.
Das Habsburgerreich war untergegangen und mit ihm halb Europa. In den „Roaring Twenties“ des 20. Jahrhunderts erlebten auch die Beziehungen einen lange vorbereiteten radikalen Umbruch in Richtung Moderne. Arthur Schnitzler war bereits ein betagter Herr, als er 1925, sechs Jahre vor seinem Tod „Die Traumnovelle“ vollendete.
Der große Verführer hatte 18 Jahre lang daran gearbeitet, unterdessen ging seine Ehe mit Olga in die Brüche. In der „Traumnovelle“ zeigt Schnitzler die typische Krise eines jungen Paares, die bis heute meist eintritt, wenn Kinder kommen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist die Romantik verflogen. Fridolin und Albertine proben das Auseinandergehen im Traum.
Igor Bauersima bearbeitete für das Josefstädter Theater die komplexe Geschichte – die im Reclam-Original ca. 100 Seiten hat – „frei“ nach Schnitzler. Das merkt man vor allem an der unterschiedlichen Wucht der Sprache. Bauersima scheut nicht die Binsenweisheit („Nur die Wirklichkeit eines Menschen bedeutet seine innerste Wahrheit“), Schnitzler schöpft ungeachtet der 19.-Jh.-Epik seines Textes aus dem Reichtum seiner Gefühlserfahrungen, die mit Freud wohl weniger zu tun haben, als gemeinhin angenommen wird. Der Dichter scheute die Hermetik (Ich, Es, Über-Ich) des Freud-Systems.
Bauersima, studierter Architekt, hat die Uraufführung auch inszeniert. Die meisten Kritiker und wohl auch Teile des Premierenpublikums dürften mit diesem rätselvollen Produkt bald fertig gewesen sein; man spürte die Unruhe, hörte Seufzen. Bauersima ist kein Botho Strauß, kein Robert Lepage.
Er hat nicht die üppige Schlafwandler-Fantasie eines Paul Auster, an dessen Elegien vom Selbstverlust inmitten einer schnurrenden Zivilisation diese „Traumnovelle“ erinnert. Die Drastik eines Bret Easton Ellis („American Psycho“) wird höchstens ungeschickt angedeutet. In zwei Punkten aber ist die Aufführung attraktiv: Sie bietet eine moderne, aktuelle Version des Stoffes – und sie schärft die weiblichen Perspektiven. Die Erzählung Albertines, die bei Schnitzler von der Kreuzigung ihres Mannes träumt, während sie Gruppensex hat, erweist sich bei Bauersima als Machtfantasie: Die unterdrückte Frau nimmt Rache. Hilde Dalik als Alva hat hier am Schluss ihren größten Moment.
Zu wenig Temperament
Die Schauspieler sind gut, aber nicht sensationell geführt. Mehr Temperament wäre ein Vorteil gewesen. Der Salonton passt hier nur bedingt. Wer sich darüber hinwegsetzt, stärkt ohne viel Kunst seine Wirkung: Alexander Strobele spielt den mürrisch-weisen Kostümverleiher, der zwischendurch auch seine Tochter verleiht.
Michael Dangl, der Kantigkeit gewonnen hat, seit er seine Theater-Frustration in ein übrigens ziemlich witzig-bernhardeskes Buch gegossen hat, gibt den Bernard, der sich in verschiedene Figuren aufspaltet: den Ehemann, den Erzähler, den Pianisten. Alexander Pschill ist Bernards Alter Ego, Ferenc, der Herzchirurg – welch tiefsinnige Symbolik! Ferenc ist der neue gezähmte, sensible Mann, der, trotz aller Umerziehungsversuche doch bei der erstbesten Gelegenheit ausbricht. In den psychologischen Verhältnissen ist Bauersima mit mehr Trittsicherheit unterwegs als in der Gesellschafts-, Kapitalismuskritik. Da gibt es wesentlich Besseres.
Als Bühnenbildner sorgt er für dichte Atmosphäre: Die wankenden Aufnahmen (Video: Georg Lendorff) von der großen Stadt, die Schemen der erotischen Exzesse sind sehr gelungen. Die mit eindreiviertel Stunden kurze Aufführung erfordert Konzentration – doch wenn man sich einlässt, ist der Gewinn nicht immer sicher.
Da ist einerseits der eher langweilige, schematische Maskenball mit allerlei krampfhaft bizarren Gestalten wie einem Wolfsmenschen, der Alva umgarnt (schon wieder tiefsinnige Symbolik!), andererseits der ebenfalls simple, aber zwingende Einfall, Schnitzlers Hure in eine moderne Teilzeitprostituierte (aus Asien?) umzuwandeln, die den Liebesdienst wählte, um ihr Studium zu finanzieren – und an Aids erkrankt. Bei Schnitzler war es Syphilis.
Alles in allem: Die Produktion ist kein großer Wurf, aber sie hat einige gute, ja ausgezeichnete Passagen – und bietet niveauvolles Spiel zu einem Thema, das alle interessiert, speziell im Theater.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2011)