Jemen: „Saleh hat mit seiner Rückkehr Gaddafis Schicksal gewählt“

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Die führende Aktivistin Tawakkol Karman will Präsident Saleh zur Verantwortung ziehen: "Die Lage wird ständig schlechter. Aber wir werden uns nicht einschüchtern lassen."

Die Presse:Seit der Rückkehr von Präsident Ali Abdullah Saleh vor einer Woche wird im Jemen geschossen und gekämpft. Wie ist die Situation in der Hauptstadt Sanaa?

Tawakkol Karman: Die Lage wird ständig schlechter. Wir wissen nicht, was Saleh vorhat. Wir erwarten, dass er noch härter gegen uns Demonstranten vorgehen wird. Aber wir werden uns nicht einschüchtern lassen.

Was als friedlicher Aufstand begann,eskaliert zu einem Bürgerkrieg. Wie ist die Stimmung unter den Aktivisten?

Wir sind trotz allem optimistisch. Dass Saleh in den Jemen zurückgekehrt ist, war ein Geschenk des Himmels. So kann er uns nicht mehr entkommen, so können wir ihm und seinem Sohn den Prozess machen. Eine tunesische Lösung wie bei Ben Ali, der von Saudiarabien geschützt wird und nicht vor Gericht gestellt werden kann, wird es im Jemen nicht geben.

Wie sicher sind Sie persönlich?

Ich bekomme viele Drohungen. Sie schießen von den Dächern auf uns. Ständig werden Revolutionäre verhaftet, ins Gefängnis geworfen oder ihre Wohnungen verwüstet. Aber ich habe keine Angst. Wir alle wissen, dass wir für das Ziel der Freiheit auch persönlich einen Preis bezahlen müssen.

Die Initiative der Golfstaaten für einen Machtübergang in Jemen sieht vor, Saleh im Gegenzug für einen Amtsverzicht Straffreiheit zu garantieren.

Wir lehnen eine Amnestie für Saleh und seine Familie total ab. Das ist und bleibt eine Kernforderung unserer Revolution.

Im Kampf um die Macht schießen momentan drei Lager aufeinander – die Familie des Präsidenten Saleh, der abtrünnige General Ali Mohsen al-Ahmar sowie die Kämpfer der mächtigen Ahmar-Stammeskonföderation. Die Jugendbewegung scheint ins Abseits zu geraten. Ist ihre Revolution von Bewaffneten gekidnappt worden?

Wir beteiligen uns nicht an diesen Kämpfen. Wir lehnen jede Gewalt ab. Wir fordern alle Seiten auf, die Gewalt zu stoppen. Wer uns unterstützt, wer bei uns mitmachen will, darf keine Waffe tragen. Wir leben nun seit acht Monaten auf der Straße in Zelten und haben unsere Erfahrungen gesammelt. Wir sind es, die die Unterstützung der Bevölkerung haben. Darum können Bewaffnete uns die Revolution nicht aus der Hand nehmen.

Sind Sie an Verhandlungen über einen Machttransfer beteiligt?

Nein. Mit dem Saleh-Lager gibt es keinerlei Gespräche. Wir haben wie in Libyen einen Nationalen Übergangsrat gebildet, der das Land nach einem Rücktritt Salehs übergangsweise führen soll. Wir sprechen mit den Oppositionsparteien, um unsere Basis zu vergrößern. Wir werben für internationale Unterstützung. Aber wir lehnen jeden militärischen Eingriff von außen kategorisch ab.

Seit Jänner campieren Sie und zehntausende junge Leute nun schon in Zelten im Zentrum der Hauptstadt Sanaa. Das Regime setzt auf Gewalt, Abnutzung und Ermüdung seiner Gegner. Wie lange können Sie das noch durchhalten?

Es kann noch lange dauern, aber das ist uns egal. Saleh ist ein Dieb und ein Krimineller. Im Kampf um die Macht ist er zu allem entschlossen. Mit seiner Rückkehr aber hat Saleh nun das Schicksal Gaddafis gewählt. Am Ende werden wir ihn fangen und für seine Verbrechen zur Verantwortung ziehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2011)

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