Austrofaschismus – "sagen wir es nur ganz offen und ehrlich!"

Gastkommentar. Auch von der ÖVP müsste zu erwarten sein, dass sie einen dem österreichischen Faschismus angemessenen Begriff akzeptiert.

Was der ÖVP noch heute nicht über die Lippen kommt, war für Bundeskanzler Leopold Figl im Jahr 1946 eine Selbstverständlichkeit. Beim schwierigen Thema „Die ÖVP und der 12.Februar“ forderte er, dass sich nicht nur ehemalige Schutzbund- und Heimwehrmänner zusammensetzen sollen, sondern, „ja, sagen wir es nur ganz offen und ehrlich, der Austromarxist und der Austrofaschist vom Jahr 1934“. Das in der ÖVP heute völlig unbekannte Wesen des „Austrofaschisten“ existiert(e) also doch.

Es beschäftigt uns bis heute. Am Mittwoch soll im Justizausschuss – falls die Regierungsparteien nicht noch kneifen – ein Gesetz beschlossen werden, wonach Urteile und Bescheide aus dieser Zeit aufgehoben werden, wenn, wie es schon im Opferfürsorgegesetz hieß, die betroffenen Personen für „ein unabhängiges, demokratisches und seiner geschichtlichen Aufgabe bewusstes Österreich“ eingestanden sind.

Das Gesetz ist unbestritten ein Fortschritt. Insbesondere Fritz Neugebauer, der Chefverhandler der ÖVP, hat bewiesen, dass ihm an einer klaren gesetzlichen Regelung dieser zeitgeschichtlichen und „juristischen Wunde“ gelegen ist. Aber die innerparteilichen Zwänge waren wohl zu stark. Der präsentierte Kompromiss ist nur ein vorsichtiger Schritt in Richtung einer gemeinsamen Sicht auf die Geschichte. Und er hat wesentliche inhaltliche und formale Schwächen.

„Ein System des Unrechts“

• Der Unrechtscharakter des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes wird im Gesetzestext nicht erwähnt. Daran kann es aber keinen Zweifel geben. Emmerich Tálos, Doyen der Austrofaschismus-Forschung, schreibt in einer von uns Grünen vorgeschlagenen Präambel für das Gesetz: „Die Regierung (...) brach mit der demokratischen Verfassung und rechtsstaatlichen Regeln, etablierte ein System des Unrechts. Grund- und Freiheitsrechte wurden realiter massiv eingeschränkt, Anhaltelager, Standrecht und Todesstrafe eingeführt. Die Unterdrückung oppositioneller Medien stellte einen wichtigen Bereich staatlicher Repression dar. Die Unabhängigkeit der Justiz wurde beseitigt, die Strafkompetenzen der Polizei ausgeweitet. Polizei und Justiz bildeten zentrale Instrumente der Absicherung der Diktatur.“

Zeitgeschichtlicher Starrsinn

• Auch der Begriff – horribile dictu– „Austrofaschismus“ war in der ÖVP nicht konsensfähig. „Offen und ehrlich“ gesagt: Es kommt einer Beleidigung der Bevölkerung gleich, dass der zeitgeschichtliche Starrsinn einiger ÖVP-Ideologen eine Formulierung auf der Höhe der Zeit verhindert und sich hinter der Formulierung „Zeit nach der Außerkraftsetzung des Parlamentarismus in Österreich“ versteckt.

Selbst von der ÖVP müsste zu erwarten sein, dass sie mit über 70 Jahren Abstand einen dem österreichischen Faschismus angemessenen Begriff akzeptiert, der ja auch von einem Säulenheiligen wie Leopold Figl verwendet wurde. In der Nachkriegszeit stimmte die ÖVP übrigens Gesetzen zu, die den Begriff „Faschismus“ für die Jahre von 1933 bis 1938 verwendeten.
• Schließlich wird im Gesetzestext den Opfern der austrofaschistischen Diktatur „besonderes Mitgefühl“ ausgesprochen. „Mitgefühl“? Wäre da nicht wie zuletzt bei den Opfern der NS-Militärjustiz eine zumindest symbolische Entschädigung für erlittenes Unrecht angemessener, sofern das nicht schon durch das Opferfürsorgegesetz geregelt wurde?

Wie ist angesichts dieser Fakten das starrsinnige Verhalten einflussreicher Kreise in der ÖVP zu erklären? Für nicht wenige schwarze Granden ist die austrofaschistische Diktatur noch immer so etwas wie „eine besondere Demokratie“ – wie das der ehemalige Vorarlberger Landeshauptmann Ulrich Ilg einmal formuliert hat. Vor allem sei es der Versuch gewesen, die Machtübernahme der Nazis in Österreich zu verhindern.

Da ist etwas dran: Natürlich betrachteten Dollfuß, Fey und Starhemberg das „konkurrenzfaschistische Unternehmen“ NSDAP als Gegner. Eines aber war für sie alle klar: Der eigentliche Feind steht links, Sozialdemokraten und Kommunisten galten als Staatsfeinde Nummer eins.

Dass mit Engelbert Dollfuß ausgerechnet die Ikone der Austrofaschisten von nationalsozialistischen Putschisten angeschossen wurde und im Bundeskanzleramt verblutete, führte zur Bildung der Legende des beinahe religiös verehrten „Märtyrers“. Das Bild des „Heldenkanzlers“ wirkt bis heute nach, wie es das viel zitierte Porträt des Diktators im ÖVP-Parlamentsklub belegt.

Josef Ostermayers Großonkel

SPÖ und ÖVP sollte die jüngste Gesetzgebung zu denken geben. 2005 haben wir Grüne das sogenannte „Anerkennungsgesetz“ abgelehnt, weil es ähnlich wie der vorliegende Entwurf halbherzig formuliert war. Die Entwicklung gab uns später recht: Gemeinsam mit den Regierungsparteien haben wir in einem neuen Gesetz für Klarheit gesorgt. Wird sich diese Geschichte wiederholen?

Wie auch immer. Das „besondere Mitgefühl“ wird laut Gesetzesvorschlag auch all jenen Opfern zuteil, „die an mit Waffen ausgetragenen gewaltsamen politischen Auseinandersetzungen zwischen dem 12.November 1918 und 12.März 1938 unbeteiligt Schäden an Leib, Leben oder Freiheit erlitten haben“. Damit bekäme auch ein heutiges Regierungsmitglied menschliche Zuwendung: Eines der beiden Opfer der „Schattendorfer Morde“ vom 30.Jänner 1927 war der damals siebenjährige Josef Grössing – ein Großonkel von Staatssekretär Josef Ostermayer.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comDr. Harald Walser (*18.4. 1953 in Hohenems) studierte Geschichte und Germanistik an der Universität Innsbruck. Dissertation über „Die illegale Tätigkeit der NSDAP in Tirol und Vorarlberg“. Seit 2003 Direktor am Gymnasium Feldkirch, seit 2008 Abgeordneter zum Nationalrat und Bildungssprecher der Grünen. [Archiv]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.