Berg-Karabach: Das Warten auf den nächsten Krieg

BergKarabach Warten naechsten Krieg
BergKarabach Warten naechsten Krieg(c) Sommerbauer
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Seit dem Ende des Kriegs um die mehrheitlich von Armeniern bewohnte aserbaidschanische Provinz vor mehr als 15 Jahren ist nur oberflächlich Ruhe in dem Gebiet eingekehrt. Ein Lokalaugenschein.

Sein Dach hat die Form von Vogelschwingen, darunter glänzt ein Rumpf aus dunkelblauem Spiegelglas in der Sonne. Nur die Fluggäste fehlen noch. Dass in der Hauptstadt Stepanakert schon bald ein Airport in der Form eines stilisierten Vogels seinen Betrieb aufnehmen soll, beflügelt die Einwohner von Berg-Karabach. Von der armenischen Hauptstadt Jerewan benötigt man mit dem Auto sechs bis acht Stunden, gewundene Gebirgsstraßen, die Passagieren Geduld abverlangen. 3000 Touristen, darunter viele Auslandsarmenier, besuchten Berg-Karabach in der ersten Jahreshälfte 2011 – „eine 49-prozentige Steigerung im Vergleich zu der Periode 2010“, vermelden die Behörden in Stepanakert mit Stolz. Mit den beabsichtigten Inlandsflügen könnten es mehr werden.

Baku droht mit Abschuss

Doch eine Flughafeneröffnung ist keine einfache Sache in einem international nicht anerkannten Land. Stepanakert Airport ist – völkerrechtlich gesehen – ein Flughafen in einem armenisch besetzten Gebiet, das immer noch zu Aserbaidschan gehört, auch wenn Baku, Verlierer des Berg-Karabach-Kriegs, seit 1994 keine Gebietshoheit mehr ausübt. Der geplante Flugbetrieb hat das Zeug zur Eskalation der ohnehin angespannten Lage zwischen den Nachbarn.

Man werde das erste Flugzeug, das in aserbaidschanischen Luftraum eindringe, abschießen, hat Baku wissen lassen. Die politisch eng verbundenen politischen Eliten von Berg-Karabach und Armenien erklärten daraufhin: Dann werde man in genau diesem Flugzeug Platz nehmen. Die Inbetriebnahme wurde auf nächstes Jahr verschoben. „Die Bauarbeiten an der Startbahn sind noch im Gange“, sagt Harutjun Grigorjan, Vertreter der armenischen Karabach-Regierung in Deutschland. Dass die Verzögerung mit der Drohung aus Baku zu tun habe, dementiert er. „Wir fürchten uns nicht. Eine solche Eskalation würde Aserbaidschan überaus schaden.“

Seit dem Ende des Kriegs um die mehrheitlich von Armeniern bewohnte aserbaidschanische Provinz vor mehr als 15 Jahren ist nur oberflächlich Ruhe in dem Gebiet eingekehrt, das ein wenig größer als das Burgenland ist und 140.000Bewohner zählt. Der Kampf um den Boden, den jede Kriegspartei für sich beanspruchte, forderte über 30.000 Menschenleben und ließ Hunderttausende zu Flüchtlingen werden. Armenier flohen aus Baku, Aserbaidschaner aus Stepanakert. Jeder Ort war umkämpft. Iwanjan, wo heute der Flughafen steht, hieß früher Hocali, ein aserisches Dorf, in dem armenische Freischärler ein grausames Massaker an Zivilisten anrichteten. Trotz offizieller Waffenruhe ist die Kriegsgefahr in den vergangenen Jahren wieder gestiegen, und eine Lösung des „eingefrorenen“ Konflikts scheint weiter entfernt denn je.

Zermürbendes Warten

Dort, wo die sonnenverbrannte Erde und der lichtblaue Himmel sich zu Dunst vermischen, liegt Aserbaidschan. Fünf Kilometer von der holprigen Straße, die in den Norden Karabachs führt, verläuft die Frontlinie, an der sich junge Rekruten in 100 Meter Abstand gegenüberstehen. Nervenaufreibendes Warten, manchmal fallen Schüsse. Es sei „schrecklich“ zu sitzen und zu warten, bis ein neuer Krieg komme, sagt ein armenischer Offizier, der selbst als Jugendlicher aus Baku fliehen musste. „So viele Jahre.“

In dem eroberten Grenzstreifen, den die Armenier „Schutzzone“ und die Aserbaidschaner „besetzte Gebiete“ nennen, wurde besonders unerbittlich gekämpft. Von Agdam, einer 100.000-Einwohner-Stadt auf früher aserbaidschanischem Territorium, ist heute nur noch eine Ruinenlandschaft übrig, über die zwei Minarette ragen. Nur ein paar Menschen haben die Pufferzone neu besiedelt, leben zwischen Grabsteinen, Mauerresten und Autowracks.

Diaspora finanziert Straßen

In Schuschi, einst eine traditionsreiche Handelsstadt oberhalb von Stepanakert, wird die Proschjan-Straße eröffnet. Ganze 252 Meter ist sie lang; eine Straßeneinweihung als hoher Feiertag: Regierungsbeamte halten Reden, Schüler bilden ein fahnenschwingendes Spalier, ein rotes Band wird durchschnitten, Jubel und Tanz. Asphalt, Gehweg und Kanal wurden von einer Diasporagemeinde in Montreal finanziert. Der Haushalt von Berg-Karabach könnte nicht ohne diese Hilfe leben: Im ersten Halbjahr 2011 wurden von Armenien und Diaspora-Armeniern knapp 15 Millionen Euro allein in die Bauwirtschaft investiert; 240 Mio. Euro betrug 2010 das Bruttoinlandsprodukt der Republik.

(c) Die Presse / HR

Hoch auf einem Berggipfel im Nordosten Karabachs steht das armenische Kloster Gandzasar. Über den Klosterhof hallen Mönchschoräle. Doch Pater Grigor, der graubärtige, bebrillte Klostervorstand, lebt allein hier. Die Musik kommt vom Band. Der Priesternachwuchs reicht nicht aus. In seinem Zimmer blättert der 56-Jährige in einem Bildband über den Krieg – Aufnahmen von der Front, an der auch er als Militärkaplan diente. Grigor taufte die Rekruten, bevor sie in die Schlacht zogen. Jetzt sitzt er hier und zeigt sein Kloster den wenigen Besuchern, die vorbeikommen. „Der Krieg ist noch nicht zu Ende“, sagt der Pater. Ähnliche Worte hat man dieses Jahr schon von einem anderen vernommen: Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2011)

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