Die Volkspartei steht an der Weggabelung...

...ob sie den freien Fall wählt und in einem Hochsteuerland neue Steuern erfindet oder ob sie den steinigen Weg mit echtem Sparkurs und ein wenig Ehrlichkeit wagt.

Sollten die Herren Spindelegger, Kopf und Co. einmal arbeits- oder beschäftigungslos werden, was aus heutiger Sicht im Bereich des Möglichen liegt, haben sie in einer Branche exzellente Jobchancen: Sie wären ideale Experten für Krisen-PR. Freilich haben sie nicht das Know-how, wie man aus einer Krise herauskommt, sondern, wie man sich ohne Not in eine laviert. Aber das Wissen, wie man etwas keinesfalls macht, kann auch hilfreich sein.

Dieses Phänomen war an diesem Wochenende wieder einmal schön zu beobachten. Vergangenen Freitag sprachen sich die Mitglieder des ÖVP-Vorstands neben gegenseitiger Hochachtung das Versprechen aus, ab sofort in der Steuerdebatte nicht über mehr Einzelmaßnahmen zu reden und Einzelforderungen zu erheben, sondern still und leise weiter an einem ÖVP-Konzept zu arbeiten. Daneben beglückwünschten sich die ÖVP-Politiker zum Erfolg, der SPÖ respektive Werner Faymann und seinem Medienstaatssekretär einmal ein paar Monate lang schlaflose Nächte zu bereiten. Diese Schadenfreude währte nur kurz, Niederösterreichs Erwin Pröll schert sich nicht viel um ÖVP-Vorstände und formulierte in dem Interview mit der „Presse am Sonntag“ scheinbar beiläufig seine Forderung nach einer Änderung des Steuersystems. Bestverdiener sollen demnach mehr Steuern zahlen, um einen solidarischen Beitrag zu leisten, aber neue Vermögenssteuern stünden nicht zur Debatte! Klingt wie eine Botschaft aus dem Bauch, hat aber einen handfesten Hintergrund: In der ÖVP gibt es das Modell, das mit Michael Spindelegger und Maria Fekter besprochen ist. Es sieht tatsächlich eine Solidaritätsabgabe für Bezieher hoher Einkommen und Löhne vor. Diese soll auf einige Jahre befristet eingeführt werden und für Forschungs- und Bildungsausgaben zweckgebunden sein.

Im Gegenzug müssen, so das ÖVP-Modell, die Einkommensgrenzen, ab der jemand den Spitzensteuersatz zahlt, angehoben werden: Um wie viel soll noch berechnet werden, immerhin wäre eine leichte Anhebung nicht mehr als der bloße Ausgleich der kalten Progression. Schließlich will man in der ÖVP eine Entlastung für die viel zitierte Mittelschicht verkünden können, wenn die Partei trotz des gegenteiligen Versprechens neue Steuern einführt – euphemistisch Solidaritätsbeitrag genannt. Interessant wäre eine Erklärung für diesen bisher intern verwendeten Begriff: Welcher Bezieher eines hohen Einkommens war bisher nicht solidarisch? Zahlte bisher keine Steuern und kam nicht für Sozialsystem und Schuldendienst auf? Und worin besteht die Solidarität, wenn wohlhabende Bürger budgetär einspringen und die Finanzierung des unterdotierten Bildungssystems bestreiten, weil die Finanzministerin das Geld offenbar für Pensionen, Zinsen, Griechenland-Hilfe und ÖBB ausgibt? Oder müssen wir eine solche Abgabe leisten, weil es uns so geht wie einst den Westdeutschen? Haben wir eine Wiedervereinigung mit Ungarn übersehen, für die wir mehr zahlen müssen? Nein, das ist nicht Solidarität, sondern Geldbeschaffung.

Spindelegger ist angetreten, etwas für die Leistungsträger zu unternehmen. Nicht einmal ein halbes Jahr danach kommt es nun offenbar zum Sündenfall: Aus Angst, in der gut manipulierten öffentlichen Meinung unter die Räder der Eat-the-rich-Kampagne von Werner Faymann und Laura Rudas zu kommen, wird in der Spurenelemente-Wirtschaftspartei ÖVP schon vor der ersten echten Verhandlungsrunde über eine Steuerreform lauter über neue Steuern als über Sparmaßnahmen gedacht.

Mag sein, dass man leichter umfällt, wenn man bei einem Thema schon öfter zu Boden gegangen ist, aber mit neuen Steuern wird die Finanzministerin das strukturelle Budgetproblem nicht beheben, sondern den nächsten Regierungen und Generationen hinterlassen. In der ÖVP wurde man bisher nicht müde, Ausgaben für die Beamten-, Verzeihung: Hacklerregelung und ÖBB-Tunnels zu geißeln. Offenbar ohne Erfolg. Kaum denkt ein ÖVP-Landeschef oder Vizekanzler einmal länger nach, fallen ihm neue Steuern ein. Es dürfe kein Denkverbot in der Partei geben, hieß es zum Thema Steuern in der ÖVP vor Kurzem. Wie meint Kollege Franz Schellhorn so richtig? Genau das wäre offenbar die einzige Strategie gewesen.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.