Die 86 Rapid-Fans sollen sich in Wien „zusammengerottet“ und so den Landfrieden gebrochen haben. Dies meint die Anklage – und erinnert dabei an den Tierschützer-Prozess.
Wien. Der in Wien laufende Rapid-Prozess – 86 Rapid-Fans sind nach Zusammenstößen mit der Polizei des Landfriedensbruchs angeklagt – ist erst zwei Tage alt und lässt bereits Erinnerungen an das Wiener Neustädter Tierschützer-Verfahren wach werden. Dieses brauchte satte 88 Verhandlungstage. Und endete (erstinstanzlich) durchwegs mit Freisprüchen. Die Parallelen liegen darin, dass da wie dort das Konkretisieren von Vorwürfen, das Beschreiben von einzelnen Tathandlungen, Mangelware ist.
In Wien zieht nun Staatsanwältin Dagmar Pulker mit dem Generalvorwurf des Landfriedensbruches in die Schlacht. In Wiener Neustadt hatte das Heranziehen des unbestimmt formulierten Tatbestandes „Kriminelle Organisation“ für Forderungen nach einer Reform dieser Gesetzesstelle und einem Versprechen auf Evaluierung durch Justizministerin Beatrix Karl gesorgt. Charakter der „Kriminellen Organisation“ (§278a Strafgesetzbuch): Wer dabei ist, macht sich strafbar. Auch wenn noch gar keine konkreten Straftaten gesetzt wurden.
Schwenk zurück nach Wien: Die Landfriedensbruch-Anklage „lebt“ auch davon, dass 86 Rapid-Fans – diese hatten am 21.Mai 2009 am Westbahnhof die von einem Auswärtsmatch heimkehrenden Austrianer grölend in Empfang genommen – wissentlich an der „Zusammenrottung einer Menschenmenge“ teilgenommen haben sollen. Dabei habe die Menge das Ziel gehabt, dass unter ihrem Einfluss Gewalttaten begangen werden. Die Strafbarkeit setzt de lege allerdings erst ein, wenn es tatsächlich zu einer solchen Gewalttat gekommen ist. Dies sei am Westbahnhof sehr wohl der Fall gewesen, argumentiert die Anklage – immerhin seien Polizisten verletzt worden. Und auch Sachschaden sei angerichtet worden.
86 Mal dieselbe Antwort
Wie schwer eine wissentliche Teilnahme am kollektiven Brechen des Wiener Landfriedens (Strafdrohung für Mitläufer bis zu zwei Jahre, für Rädelsführer bis zu drei Jahre Haft) im Einzelfall zu beweisen ist, zeigen nun jene nahezu wortgleichen Einvernahmen, die Richterin Martina Frank jedesmal aufs Neue, 86 Mal hintereinander, zu erledigen hat: „Warum sind Sie zum Bahnhof gefahren?“ – „Ich wollte Präsenz zeigen und Fangesänge singen.“ Schuldig bekennt sich kein Einziger. Als die Richterin am Dienstag beklagt, dass immer mit denselben Worten geantwortet werde, nimmt sich ein Angeklagter ein Herz und verwendet statt dem zum Reizwort avancierten „Präsenz-Zeigen“ ein umformuliertes „Ich-wollte-verbale-Macht-zeigen“ – eben durch das Absingen von Schlachtchören.
Die Anklage schreibt, dass das „umfassende Video- und Bildmaterial“ der Bahnhof-Kameras „vorzüglich zur Ausforschung der Täter beitrug“ und das „Verhalten der Angeklagten am Tatort eindrucksvoll veranschaulicht“. So könne „den einzelnen Angeklagten das jeweils angelastete tatbildliche Verhalten auch klar zugeordnet werden“. Allerdings verzichtet die Anklage darauf, in jedem Einzelfall ebendiese Zuordnung auch tatsächlich vorzunehmen.
Der Verfahrensaufwand ist jedenfalls enorm. 37 Verhandlungstage sind bereits anberaumt. Wesentlich mehr könnten es werden. Dennoch rechnet sich die Verteidiger-Riege gute Chancen auf Freisprüche aus. Und sieht das Ganze so: „Der Prozess ist die Strafe.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2011)