Lohnrunde: Offener Kampf der Sozialpartner

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Die Gewerkschaft stellt ihre Lohnforderungen erstmals öffentlich und will eine Erhöhung um 5,5 Prozent. Die Arbeitgeberseite ist über das "Aggressionspotenzial" verwundert und bietet 3,1 Prozent mehr Geld.

Wien/Jaz. Über Jahrzehnte hindurch folgte man dem immer gleichen Ritual: Im Herbst trafen sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter der Metallindustrie hinter verschlossenen Türen zur sogenannten „Metaller-Lohnrunde“. Konkrete Zahlen wurden weder vor noch während der Verhandlungen öffentlich gemacht. Die erste und meist auch zweite Runde wurden ergebnislos beendet. Unter anderem, um die Dramatik zu steigern. In der dritten Runde gab es dann den Abschluss, mit dem alle einigermaßen gut leben konnten.

Heuer bricht die Gewerkschaft erstmals mit dieser Tradition. Am Mittwoch präsentierte sie im Rahmen einer Pressekonferenz ihre Forderung in Höhe von 5,5 Prozent. Die Arbeitgeberseite wurde nicht vorab informiert, sie erhielt diese Information nach den Journalisten. In der am Dienstagabend ergebnislos abgebrochenen ersten Verhandlungsrunde (die Arbeitgeber boten eine Erhöhung um 3,1 Prozent sowie eine Einmalzahlung von 200 Euro) wollten die Gewerkschafter ihre Forderung noch nicht preisgeben.

"Lassen uns nicht abspeisen"

Als Grund dafür nennt Karl Proyer von der Gewerkschaft der Privatangestellten das Verhalten des Bundesobmanns der Vorarlberger Industrie in der Wirtschaftskammer – des Verhandlungsleiters aufseiten der Arbeitgeber. „Hinteregger hat bereits im August öffentlich gesagt, er könne sich eine Erhöhung um drei Prozent, aber nicht viel mehr vorstellen. Die Arbeitgeberseite kann nicht erwarten, dass sie uns in die Wirtschaftskammer zum Unterschreiben bestellen kann“, so Proyer.

Ähnlich sieht es der zweie Verhandlungsleiter auf Arbeitnehmerseite, Rainer Wimmer von der Pro-Ge: „Wir lassen nicht mehr zu, dass Arbeitnehmer mit Erhöhungen unter der Inflationsrate abgespeist werden.“

Die Gewerkschaften wollen daher in den kommenden Tagen in den Unternehmen Betriebsversammlungen organisieren, um sich Unterstützung von der breiten Arbeitnehmerschaft für ihre Forderung zu sichern. Denn sollte es nach der nächsten Verhandlungsrunde am 12. Oktober „keine Verhandlungserfolge“ geben, droht die Gewerkschaft mit „Maßnahmen“. Auch ein „Arbeitskampf“ – also Streiks – werden von Proyer und Wimmer dezidiert nicht ausgeschlossen. Und eines ist für Proyer klar: „Ein Dreier vor dem Komma ist für uns auf jeden Fall ausgeschlossen.“ Die Unternehmen hätten in den vergangenen Monaten kräftige Gewinne eingefahren. Davon wolle man – auch angesichts der drohenden zweiten Krise – einen Anteil für die Arbeitnehmer haben.

Für die Arbeitgeberseite ist die Forderung der Gewerkschaft „inakzeptabel“. „Ich bin persönlich überrascht über die Vorgangsweise und tief betroffen über das Aggressionspotenzial“, sagt Hinteregger. Eine Erhöhung um 5,5 Prozent würde die Betriebe überfordern und eine „Hypothek für die Zukunft“ darstellen, so Hinteregger weiter. Das Angebot von 3,1 Prozent und einer "knackig saftigen" Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro sieht er nicht als „Hohn“, wie es die Gewerkschaft bezeichnete, sondern als „der derzeitigen Wirtschaftssituation angepasst“.

Die Forderung in Höhe von 5,5 Prozent ergibt sich aus der klassischen Benya-Formel: Inflationsabgeltung und die Hälfte des Produktivitätszuwachses. Für die Inflation rechnet die Gewerkschaft mit rund drei Prozent, das deckt sich mit den Prognosen der heimischen Wirtschaftsforscher (siehe Grafik). Das Produktivitätswachstum in der Industrie wurde von der Arbeiterkammer mit fünf Prozent errechnet – auch hier kommen die Wirtschaftsforscher vom Wifo auf ähnliche Zahlen.

Foto: DAPD, Grafik: Die Presse

Ob die Forderung in Höhe von 5,5 Prozent somit gerechtfertigt ist, will Wifo-Chef Karl Aiginger auf Frage der „Presse“ dennoch nicht beantworten. „Zu konkreten Zahlen nehme ich keine Stellung“, so Aiginger. Klar sei jedoch, dass es bei den Lohnverhandlungen aus volkswirtschaftlicher Sicht die Kunst sei, den Konsum durch Lohnerhöhungen anzukurbeln, ohne die Wettbewerbsfähigkeit zu stark zu gefährden.

Konjunktur treibt Produktivität

„Die Inflation muss auf jeden Fall abgegolten werden“, meint Aiginger. Auch die Unternehmen konnten ihre Kostensteigerungen in der Regel durch Preiserhöhungen weitergeben. Da dies nachhaltig sei, müsse der Ausgleich auch durch eine prozentuelle und nachhaltige Lohnerhöhung erfolgen.

Anders sehe das beim Produktivitätswachstum aus. Dies sei derzeit vor allem „konjunkturgetrieben“ – in den Betrieben arbeiten also gleich viele Mitarbeiter mehr Aufträge ab, wodurch die Produktivität des Einzelnen steigt. Sobald die Wirtschaft deutlich zurückfalle, könne somit auch die Produktivität wieder sinken (wie etwa im Jahr 2009). Für heuer sollte das Produktivitätswachstum daher teilweise durch Einmalzahlungen abgegolten werden, argumentiert Aiginger.

Zudem plädiert der Wifo-Chef dafür, die Lohnrunden stärker zu „individualisieren“. So sollten geringere Einkommen stärker steigen und die wirtschaftliche Situation der einzelnen Unternehmen deutlicher in Lohnsteigerungen ihrer Mitarbeiter einfließen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2011)

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