"Fach Wirtschaft und Geographie ist Fehlkonstruktion"

Fach Wirtschaft Geographie Fehlkonstruktion
Fach Wirtschaft Geographie FehlkonstruktionStefanie Kompatscher
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Weniger Spanisch, mehr Ökonomie: Wirtschaftspädagoge Josef Aff ist für ein eigenes Fach Wirtschaft an AHS. Dafür würde er bei Fremdsprachen kürzen.

DiePresse.com: Ab 2013 wird im PISA-Test auch Finanzwissen abgeprüft. Österreich beteiligt sich nicht daran. Wie würden sich die Schüler Ihrer Meinung nach gegen Länder wie die USA oder China behaupten?
Josef Aff: Ich bin sehr skeptisch, ob so überhaupt ökonomische Alphabetisierung abgeprüft werden kann. Finanzwissen ist nur eine Komponente einer ökonomischen Bildung. Zudem sind solche Tests oft auf den angelsächsischen Raum zugeschnitten. Das heißt: Es wird kein BWL-Wissen abgefragt, weil das dort nicht unterrichtet wird. Genau da liegt aber die Stärke der Schüler in den berufsbildenden Schulen. Außerdem ist BWL wichtig für die Berufs- und Lebenspraxis. Es geht dabei um Fragen wie: Wie erstelle ich einen Business-Plan? Wie kann man Finanzierungsprobleme lösen? Mit den Handelsakademien und Höheren Technischen Lehranstalten liegen Österreichs Schülerinnen und Schüler im internationalen Spitzenfeld - sofern wirtschaftliches Wissen nicht nur auf spezifische volkswirtschaftliche Fragestellungen reduziert wird.

Wieso kann dann die Mehrheit der Österreicher nicht erklären, was ein Bruttoinlandsprodukt ist?
Das ist nicht nur eine Frage der Schulbildung. Lebenslanges Lernen wird in Österreich sträflich vernachlässigt. Der ORF müsste Formate wie "Eco" ausbauen und ins Hauptabendprogramm nehmen, die Regierung müsste die Bevölkerung in Inseraten oder in einfach verständlichen Broschüren über aktuelle wirtschaftliche Fragen wie die Schuldenproblematik informieren. Stattdessen lachen mich aus Zeitungen, vor allem aus der Boulevardpresse, Bilder von Regierungsmitgliedern an - das ist eine Beleidigung für jeden Steuerzahler.

Einmal abgesehen von den berufsbildenden Schulen - reicht das Wissen aus, das in den Gymnasien vermittelt wird?
Das Hybridfach Wirtschaft und Geographie ist eine Fehlkonstruktion, Wirtschaft wird in einer Bonsai-Variante vermittelt. In vielen Ländern ist ein eigenes Fach Wirtschaft an Gymnasien Standard. In Bayern gibt es das, in Russland wird es jetzt eingeführt. Dort geht das - nur in Österreich geht das seit Jahrzehnten nicht.

Woran liegt das?
Das hängt vor allem mit Standesinteressen zusammen, dem Lobbying diverser Lehrerverbände. Die Geographen wollen weiterhin ein zweites Standbein haben. Das ist wie bei den Pensionisten: Wenn sie etwas haben, geben sie es nicht mehr her. Dabei möchte ich anmerken, dass ich den Geographen nichts wegnehmen möchte, sofern sie ihre wirtschaftliche Ausbildung verbessern.

Im Lehramtsstudium "Geographie und Wirtschaftskunde" an der Uni Wien sind zwei Semesterstunden für BWL und eine für die Einführung in das Österreichische Wirtschaftssystem vorgesehen. Ist das ausreichend?
Das Studienplan ist in höchstem Maße reformbedürftig, er ist eine Aneinanderreihung von inhaltlicher Willkür. Es ist überhaupt nicht ersichtlich, nach welchen Prinzipien die ökonomischen Inhalte ausgewählt werden. Außerdem muss die Didaktik verbessert werden. Wenn man heute Schüler fragt: "Was interessiert euch nicht?", dann lautet die Antwort immer: Politik und Wirtschaft. Lehrer können Schüler nicht für das Abenteuer Wirtschaft motivieren, das liegt auch an der falschen Lehrer-Ausbildung.

Wie sollte der Lehrplan des Unterrichtsfachs Wirtschaft aussehen?
Ein Maturant sollte den Wirtschaftsteil einer Qualitätszeitung verstehen, das wäre schon sehr viel.
Wichtig ist, zentrale Themen der Wirtschaftspolitik, zum Beispiel Budget oder Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, im Unterricht zu thematisieren. Außerdem sollte ein Grundverständnis des Finanzmarktes vermittelt werden.

Wie viele Stunden Wirtschaft wären dafür notwendig?
Ein oder zwei Wochenstunden in der sechsten und siebten Klasse Gymnasium könnten ausreichen.

Welches Fach würden Sie "opfern"?
Die zweite oder dritte Fremdsprache hat oft einen zu großen Stellenwert. Auf die Frage "Was ist arbeitsrelevant?" antworten die meisten Arbeitgeber gleich: Da kommt an erster Stelle Englisch, an zweiter Stelle Englisch - und an dritter Stelle Englisch. Andere Sprachen sind im Vergleich dazu Enrichment.

Wird es das Fach Wirtschaft in zehn Jahren an Gymnasien geben?
Angesicht der Tatsache, dass seit Jahrzehnten Stillstand herrscht, bin ich sehr pessimistisch.

Viele Unternehmen und Organisationen stellen Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Wie bewerten Sie das?
Hier muss man klar unterscheiden zwischen Unternehmen und Sozialpartnern: Die Arbeiterkammer und die Wirtschaftskammer stellen sehr gute Materialien zur Verfügung. Wenn aber einzelne Firmen den Schülern ihre Philosophie über Unterrichtmaterialien vermitteln wollen, wird es problematisch. Ich kenne ein extremes Beispiel aus Deutschland: In einer Schule für Versicherungskaufleute hat der Konzern Gerling den Schülern gratis Computer zur Verfügung gestellt und gleich die passende Software mitgeliefert. Die Schüler haben dann gelernt, die Lebensversicherungen von Gerling zu handhaben. Das ist nicht mehr nur Praxisorientierung, das ist ein Schritt zu weit.

Sollen sich Wirtschaftslehrer in der Privatwirtschaft bewähren?
Ja, auf jeden Fall. Auch hier gibt es einen großen Unterschied zwischen berufsbildenden Schulen und AHS. Um an einer HTL oder einer HAK einen unbefristeten Vertrag zu bekommen, muss ein Lehrer zwei bis vier Jahre in der Privatwirtschaft gearbeitet haben. In der Wirtschaftspädagogik haben wir zum Beispiel viele Studienanfänger, die bis zu 20 Jahre Berufserfahrung vorweisen können. Außerdem gibt es viele hier ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, die sich nebenberuflich in der Privatwirtschaft bewähren, zum Beispiel als Steuerberater.

Übungsfirmen, Planspiele, interaktives Lernen: Es gibt viele Initiativen, mithilfe derer Schülern Wirtschaft schmackhaft gemacht werden soll. Wie stehen Sie dazu?
Die Schüler lernen durch Spiele, da sie emotional motiviert werden. Allerdings muss man aufpassen: Manchmal wird durch das Spiel die Realität zu sehr verstümmelt und bagatellisiert - und den Schülern nicht mehr bewusst gemacht, dass es auch ein unternehmerisches Risiko gibt.

Zur Person

Josef Aff arbeitete nach seinem BWL-Studium als Entwicklungshelfer, HAK-Lehrer und in der Abteilung Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Nach seiner Habilitation im Jahr 1995 verbrachte er zehn Jahre in Deutschland an den Unis Köln und Erlangen, um dann als Leiter des Wirtschaftspädagogik-Instituts an die WU zurückzukehren.

Masterstudium Wirtschaftspädagogik Rund 400 Studenten studieren Wirtschaftspädagogik an der WU Wien. Darunter sind junge Bachelor-Absolventen, aber auch langjährige BWL-Lehrer oder Quereinsteiger aus der Privatwirtschaft, die berufsbegleitend studieren. Nicht alle Absolventen unterrichten später an BMHS, viele arbeiten in beratenden Berufen oder in der betrieblichen Weiterbildung.

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