Jubel um Natalie Dessay, die ungewöhnliche "Traviata"

Jubel Natalie Dessay ungewoehnliche
Jubel Natalie Dessay ungewoehnlichedapd (Strauss)
  • Drucken

Premiere an der Wiener Staatsoper, außerordentlich musiziert unter Bertrand de Billys Leitung, mit verhältnismäßig kleinen Stimmen, aber voll großer Emotion.

Ein Fest der großen Stimmen war es nicht. Eher schon ein Konzert zarter, zerbrechlicher Töne, die freilich enorme emotionale Kräfte freisetzten: Mochten die Meinungen über die vokalen Qualitäten auseinandergehen: Kalt gelassen hat die Geschichte der Kameliendame an diesem Abend gewiss niemanden. Denn sie wurde dank der enormen Bühnenpräsenz von Natalie Dessay und der immensen Innenspannung, die Bertrand de Billys feinsinnige Verdi-Interpretation im Spiel der Philharmoniker evozierte, zum packenden Musiktheater-Ereignis.

Die Dessay hatte vorab verkündet, hinfort lieber Theater spielen zu wollen, als Oper zu singen. Sie spielt bereits Theater, möchte man nach dieser Premiere entgegnen. Ihre Ängste, der Partie der Violetta stimmlich ganz nicht gerecht werden zu können, erfüllen sich zwar, vordergründig betrachtet: Natürlich fehlt ihrem Sopran das Volumen und die Kraft, manche Gefühls-Aufwallungen so explodieren zu lassen, wie Verdi das in seiner Partitur vorschreibt. Natürlich liegt ihr vieles - namentlich am Beginn der Oper - etwa eine Terz zu tief.

Andererseits aber macht diese Singschauspielerin Töne hörbar, die kaum je von einer Violetta so innig gesungen wurden. Sie kehrt den dramaturgischen Spieß um und straft alle oberflächlichen Definitionen von musikalischer Italianità Lügen: Je leiser die Töne, desto intensiver ihre Wirkung. Den Monolog im dritten Akt (beide Strophen werden in dieser ganz und gar ungekürzten Aufführung gegeben) hat man selten so berührend gehört. Und die Fragilitäts-Studie der Sterbeszene, die folgt, gehört zu den großen Viertelstunden jüngeren der Wiener Operngeschichte.

Der Tenor kann da mithalten, wie er überhaupt alle intimen Momente großartig gestaltet, die Duette mit der Titelheldin im ersten und letzten Akt vor allem, wo er Pianokultur vom Feinsten serviert. Auch das hört man nicht alle Tage. Musikfreunde, die in der Cabaletta nur auf das hohe C warten - das Castronovo auslässt (es steht auch nicht bei Verdi!) - überhören echte Vokalfinessen ja gern.

Sie hören auch nicht, welch meisterliche Arbeit der Dirigent geleistet hat: Ein abgespieltes Stück wie die "Traviata" dermaßen feinsinnig und differenziert zu gestalten, das Orchester zu solchen vier- bis fünfachen Pianobögen zu animieren; und dabei noch zur nötigen Flexibilität in der Begleitung der Stimmen zu finden, das ist exquisit. Jeder Takt, jeder Akzent dieser Aufführung ist vom Orchester mit Hingabe modelliert - und doch bleibt man Verdis Melos nichts schuldig, in lang gezogenen Phrasen und weiten, pulsierenden Steigerungesbögen - vor allem im zweiten Finale (das - dramaturgisch problematisch - wie in der alten Inszenierung unmittelbar nach der Pause erklingt!)

Der Giorgio Germont ist der einzige an diesem Abend, der auch in einer "normalen", lauteren "Traviata"-Vorstellung - also unter gewohnten Umständen - gute Figur machen würde. Sein schöner Bariton ist im Vergleich zu Sohn Alfredo und dessen ungeliebter Konkubine noch ungeschliffen, doch imposant im Klang.

Was passieren wird, wenn im ganz auf die Dessay zugeschnittenen Umfeld dieser vor einer Feuermauer spielenden Produktion die Besetzungen den Gesetzen des Repertoirebetriebs unterworfen werden, bleibt abzuwarten.

So sicher wie im seit vier Jahrzehnten bekannten Otto-Schenk-Umfeld wird sich eine neue Besetzung nicht bewegen können. Doch bleibt es immerhin möglich, für eine gute Darstellerin, eine anrührende Geschichte zu erzählen. So viel wissen wir nach dieser Premiere.


La Traviata. Staatsoper. Reprisen: 12., 15., 18., 21., 24., Oktober

Die Vorstellung am 15. Oktober wird live in Ö1 übertragen.

(DiePresse.com)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Klassik

Natalie Dessay erzählt, wie sie Grenzen sprengt

Die Koloratur-Primadonna, die am kommenden Sonntag in Wien als "Traviata" debütiert, über ihre wachsende Unlust an der Oper und die Leidenschaft für szenische Gestaltung - wenn es sein muss, im Sprechtheater.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.