Inmitten des ungewöhnlich schweren Monsuns wälzt sich eine große Flutwelle von Norden auf die Millionenstadt Bangkok zu, die bereits teilweise unter Wasser steht. Großräumige Überschwemmungen werden befürchtet.
Die schweren Regenfälle und Überschwemmungen, die Thailand und andere Länder der Region seit Wochen heimsuchen, erreichen ein kritisches Ausmaß: Thailands Hauptstadt Bangkok, die in Ansätzen bereits unter Wasser steht, bereitet sich auf eine Flutwelle vor, die aus dem Norden drängt und in den kommenden Tagen weitere Stadtgebiete überschwemmen dürfte.
Mitarbeiter der Stadt und Freiwillige verstärkten am Montag Sandsackbarrieren und bauten weitere Sperren. Eine von ihnen soll auf einer Länge von zehn Kilometer die Überflutung mehrerer Stadtteile verhindern. Zusätzlich wurde begonnen, fünf Kanäle auszuheben, durch die ein Teil der Wasser ins Meer abrinnen soll.
Schon Ende der Woche könnte die Flut Bangkok erreichen, erklärte Sukhumbhand Paribatra, der Gouverneur der Hauptstadt. Zudem drohten weitere Stürme mit Regen die ohnehin schwierige Lage zu verschlimmern. Der Großteil der Stadt liegt kaum zwei Meter über dem Meeresspiegel.
Größte Katastrophe seit 50 Jahren
Seit Ende Juli kommt es vor allem im Norden und Nordosten des Landes und im Zentrum zu schweren Überflutungen. Mindestens 269 Menschen starben bisher, mehr als 2,4 Millionen sind von der größten Naturkatastrophe im Land seit etwa 50 Jahren betroffen. In 30 der 77 Provinzen herrscht Hochwasser. Auch die Einwohner Bangkoks bereiten sich vor: Supermärkte berichten von Panikkäufen und Engpässen.
Premierministerin Yingluck Shinawatra versuchte zu beruhigen. Sie erklärte, dass es noch immer möglich sei, die Stadt mit ihren (samt Umland) mehr als zwölf Millionen Einwohnern vor dem Untergang zu retten. „Es ist noch nicht notwendig, Bangkok zum Katastrophengebiet zu erklären, da wir die Situation noch kontrollieren können“, sagte Yingluck am Montag. Die Menschen sollten nicht panisch sein, aber wachsam und vorbereitet. Allerdings räumte sie ein, dass man nicht hundertprozentig gerüstet sei. So gebe es zu wenig Sandsäcke, um alle geplanten Flutbarrieren zu bauen. Daher rief die Regierung die Unternehmer dazu auf, ihr so viele Sandsäcke wie möglich zu verkaufen.
Historische Hauptstadt überflutet
Wie schlimm es Bangkok im Ernstfall ergehen könnte, lassen Entwicklungen vom Wochenende erahnen, als weite Teile Ayutthayas überflutet wurden: Alle Versuche, die historische Hauptstadt des Landes rund 70 Kilometer nördlich Bangkoks vor dem Wasser zu retten, sind gescheitert. Fluten überspülten an mehreren Stellen beinahe gleichzeitig Hochwasserbarrieren und drangen schnell ins Stadtzentrum vor, das auf einer Insel liegt. Als viele Bewohner versuchten, den Stadtkern zu verlassen, kam es zu Gedränge und vereinzelt zu Panik. Rund die Hälfte der 600 Patienten des Spitals mussten mit Schlauchbooten weggebracht werden, während Schwerkranke mit Hubschraubern ausgeflogen wurden. Die Behörden ordneten daraufhin an, in insgesamt zehn Provinzen Massenevakuierungen vorzubereiten.
Fabriken geschlossen
Eines der wichtigsten Industriegebiete Thailands, das neben Ayutthaya liegt, wurde ebenfalls teilweise überflutet. Hier unterhalten unter anderem Honda, Nikon und Hitachi große Fertigungsanlagen. „Alle 198 Fabriken sind geschlossen. Wir können nichts tun, da der Wasserspiegel höher ist als die Barrieren“, sagte Industrieminister Wannarat Charnnukul.
In Ayutthaya stehen auch etliche historische Gebäude zum Teil mehrere Meter hoch unter Wasser. Die Unesco hat Geld bereitgestellt, mit dem beschädigte Monumente saniert werden sollen.
Wissenschafts- und Technologieminister Plodprasop Suraswadi räumte ein, dass das staatliche Hochwasserzentrum möglicherweise das Ausmaß der Katastrophe unterschätzt habe. „Es könnte falsche Berechnungen gegeben haben bezüglich der Menge des Wassers. Es könnte weit mehr Hochwasser geben als geschätzt.“
Armeebasen als Zufluchtsorte
Die Regierung rief unterdessen Unternehmen dazu auf, geeignete Hallen als mögliche Notlager für Flutopfer zur Verfügung zu stellen. Die Zahl der Menschen, die aus Ayutthaya evakuiert werden müssen, könne sich schon bald drastisch erhöhen, da der Wasserspiegel dort weiter ansteige. Mehrere Universitäten in Bangkok haben Versammlungshallen als Notlager für Flüchtlinge angeboten. Premier Shinawatra erklärte, sie habe das Militär angewiesen, Flutopfer in Armeebasen unterzubringen.
Hintergrund
In Thailand und anderen Ländern Südostasiens ist Monsunsaison, es regnet aber ungewöhnlich heftig. Meteorologen vermuten, dass ein „La Niña“-Effekt dahintersteckt: Dabei kühlt sich der Pazifik im Äquatorbereich stark ab, warmes Wasser wird in den Westpazifik verdrängt. Folge: starker Regen in Südostasien und Nordaustralien, dafür Trockenheit in Süd- und Mittelamerika und vermehrt Hurrikans in Nordamerika.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2011)