Sind Unternehmerführerschein und Co. geeignet, um Schülern Wirtschaftswissen vermitteln? Unter AHS-Lehrern scheiden sich die Geister.
"Viele unserer Absolventen schauen arm aus, wenn sie direkt nach der AHS auf den Arbeitsmarkt kommen", sagt Elisabeth Dittrich, Leiterin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Geographie- und Wirtschaftskundelehrer. Die Maturanten würden im Gegensatz zu Schülern berufsbildender Schulen oft in einer Märchenwelt leben: "Junge Menschen gehen aus der Schule und wissen nicht einmal, wie die Wertschöpfung in Banken funktioniert".
Ein eigenes AHS-Fach Wirtschaft - wie es Wirtschaftspädagoge Josef Aff auf DiePresse.com gefordert hat - stößt bei der ARGE dennoch auf wenig Gegenliebe. Allerdings denkt man über einen "verbindlichen Basiskatalog" mit zu vermittelnden Wirtschaftsinhalten nach. Andere Fächer müssten nicht zu kurz kommen, würden dem Geographie- und Wirtschaftsunterricht "die beiden Stunden, die bei der Reform unter Frau Bundesministerin Gehrer abgezweigt worden sind" zurückgegeben.
"Von Schülern kein Unternehmertum erwarten"
Wie nun aber der ideale Wirtschaftsunterricht ausschauen soll, daran scheiden sich die Geister. Während die Lehrervertretung von Zusatzangeboten wie den Unternehmerführerschein der Wirtschaftskammer begeistert ist, äußert sich Fachdidaktiker Christian Sitte skeptisch. Der PH- und Uni-Lektor, der selbst an einer Wiener AHS unterrichtet, hat eine Studie dazu verfasst. Sein Fazit: "Bei der Prüfung werden nur Fakten abgefragt". Das sei zu wenig. Außerdem sieht er eine weiterer Gefahr solcher Initiativen: Nur eine kleine Minderheit sei für die Selbstständigkeit geeignet, "von Schülern kann man grundsätzlich kein Unternehmertum erwarten". Und: "Bilanzen zu erstellen ist keine Allgemeinbildung". Wichtig sei hingegen, den Schülern komplexe wirtschaftspolitische Themen zu vermitteln. Und diesem Anspruch wird laut Sitte der derzeitige Lehrplan eher gerecht als diverse Führerscheine.
Lehrervertreterin Dittrich ist die ideologische Diskussionen darüber leid, was Allgemeinbildung ist und was nicht. Erst vor wenigen Tagen habe sie eine Mail einer ehemaligen Schülerin erhalten, die sich dafür bedankt hat, dass sie den Europäischen Wirtschaftsführerschein EBCL machen konnte: "Sie ist laut eigener Aussage den anderen AHS-Absolventen nun in Verständnis und Wissen damit weit voraus", so Dittrich.
Konsum, Arbeit, Gesellschaft
Laut Fachdidaktiker Sitte sollen drei zentrale Bereiche der Wirtschaftskunde an Gymnasien vermittelt werden: Konsumökonomie, Arbeitsökonomie und Gesellschaftsökonomie. Beim Lehrplan sieht er wenig Änderungsbedarf, für die gelungene Umsetzung des Stoffes seien die Lehrer zuständig: „Um etwa eine siebte Klasse gut zu unterrichten, müsste man jedes Jahr die Hälfte des Stoffes neu vorbereiten.", sagt Sitte. Aber leider gebe es wie in jedem Fach auch Lehrer, die keine Zeitung lesen. Dogmen, Daten und Definitionen würden nicht ausreichen, um Schülern komplexe Themen wie die griechische Schuldenkrise zu vermitteln.
Dass Tests zum Wirtschaftswissen der Österreicher oft katastrophale Ergebnisse zu Tage fördern, betrachtet Sitte relativ gelassen: "Oft werden nur Definitionen abgefragt". Wie viel wirtschaftliche Kompetenz die Befragten letztendlich im Alltag zeigen, könne so nicht ermittelt werden. Und nicht immer seien Schulen dafür verantwortlich: "Gesellschaft und Familie prägen manchmal viel stärker."
"Geographie & Wirtschaft" - wie kam es dazu?
Nach dem zweiten Weltkrieg drängten vor allem die Sozialpartner darauf, allen Schülern die Grundlagen der Wirtschaftskunde zu vermitteln. Ein neues Schulfach wollte die Regierung aber nicht schaffen. 1962 wurde das Problem pragmatisch gelöst: Gesellschaftskunde wurde an die Geschichte gehängt, Wirtschaftsbildung an die Länderkunde.
Bis es zu einem Paradigmenwechsel kam, vergingen noch zwei Jahrzehnte. Erst Mitte der 80er-Jahre begann man, Wirtschaft nicht nur als Anhängsel zu betrachten. Fortan ging es im Geographie- und Wirtschaftsunterricht nicht mehr hauptsächlich um Länderkunde, sondern der handelnde Mensch rückte ins Zentrum.