Der nächste Ökonomie-Nobelpreis gebührt der griechischen Regierung

Seinen Wohlstand mühsam zu erarbeiten, das kann im Prinzip jeder. Griechenland hat ein wesentlich intelligenteres Verfahren entwickelt, viele Milliarden an Einkommen ohne Arbeit zu lukrieren: Chapeau!

Quergeschrieben
Einem derzeit weit verbreiteten Klischee zufolge sind die Griechen ja bekanntlich völlig unfähig, auch nur halbwegs vernünftig zu wirtschaften: Sie haben keine nennenswerte Industrie (außer der organisierten Steuerhinterziehung), keine signifikanten Exporte (außer bündelweise Schwarzgeld) und kein weltweit begehrtes Know-how (außer EU-Subventionsbetrug).

Der Umstand, dass Griechenland völlig pleite ist und ohne Milliarden aus dem Norden im Winter nicht einmal mehr sein Parlament beheizen könnte, scheint dieses Vorurteil über jeden Zweifel hinaus zu erhärten. Vermutlich schütteln sich die Mitglieder der politischen Klasse in Athen jedoch regelmäßig vor Lachen, wenn sie derart bräsige Diagnosen in ausländischen Zeitungen lesen.

Denn tatsächlich ist den Griechen vermutlich schon recht bald eine wirtschaftliche Meisterleistung gelungen, die seit 1945 kein anderes europäisches Land geschafft hat: Sie haben sich rund 200 Milliarden Euro verschafft, verschmaust und verbraten, ohne dieses Geld je erarbeitet oder sonst wie rechtmäßig verdient zu haben. Den Griechen ist vermutlich – Chapeau – der Coup des Jahrhunderts gelungen, gegen den der große englische Eisenbahnraub geradezu wie ein armseliger Ladendiebstahl von Minderjährigen wirkt.

Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dem Land ja schon demnächst ein erheblicher Teil der in den letzten Jahrzehnten aufgehäuften Schulden ganz offiziell erlassen werden, kolportiert wird ein Betrag in der Größenordnung von eben jenen 200 Milliarden Euro. Geld, das die Gläubiger naturgemäß nie wieder sehen werden. Geflossen ist es im Laufe der Jahre in Straßen und Flughäfen, in Beamtenbezüge und Pensionen, in privaten wie öffentlichen Konsum – alles in allem in einen Wohlstand, den Griechenland nie erarbeitet hat.

Das heißt: Als (bisher) einziges Land der EU hat Griechenland, kommt dieser Schuldenerlass zustande, die Kosten seines völlig überzogenen Lebenswandels erfolgreich seinen Freunden in der Union aufgehalst. Und zwar, sobald dieser Schuldenerlass da ist, endgültig. 200 Milliarden zu erbeuten, vor den Augen der Bestohlenen fröhlich zu verprassen und dann völlig ungeschoren davonzukommen: Das ist eine herausragende ökonomische Höchstleistung, der dementsprechend höchster Respekt gebührt.

Die Dummen hingegen, das sind entgegen dem verbreiteten Vorurteil ganz und gar nicht die Griechen, sondern deren Gläubiger, also letztlich die Steuerzahler der anderen EU-Staaten: Den Bürgen wird man würgen. Athen ist allem Anschein nach nicht weniger als das perfekte Verbrechen gelungen: ein klarer Fall von „Crime does pay“.

Auch unter ethischen Gesichtspunkten verdient der griechische 200-Milliarden-Coup den Beifall der Fachwelt. Denn der griechischen Regierung ist nach erfolgtem Schuldenschnitt ja gelungen, den nächsten Generationen von Griechen die Last zu nehmen, die von ihren Eltern und Großeltern aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen.

Diese Schulden werden stattdessen von den heute noch ungeborenen Kindern in Deutschland, den Niederlanden oder Österreich beglichen werden müssen. Aber die werden an ihrem Unglück selbst schuld sein: Hätten sie sich halt griechische Eltern ausgesucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2011)

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