Lasst die Trillerpfeifen hören, ihr wackeren Metaller!

Die Gewerkschaft setzt plötzlich auf medial transportierten Klassenkampf. Soll sein: Alles ist besser als Zwangspartnerrituale ohne jede öffentliche Diskussion.

Auf Österreich ist auch kein Verlass mehr. Die Neutralität ist nur mehr ein hohles Wort, die Verstaatlichte ist längst privatisiert, die Insel der Seligen hat an der Kontinentalscholle der Weltwirtschaft angedockt. Und jetzt kommt auch noch die Metallergewerkschaft mit Trillerpfeifen und Megafonen, um das letzte Relikt unserer politischen Folklore zum alten Eisen zu werfen: die friedlichen Lohnverhandlungen ohne Streik und öffentlichen Streit.

Es heißt Abschied nehmen von der gelobten Dreifaltigkeit: Über Arbeitgebern und Arbeitnehmern schwebte stets der heilige Geist der Sozialpartnerschaft, der Harmoniesucht über die Verhandler ergoss, nachdem sie sich drei Nächte lang hinter verschlossenen Türen die Betonschädel eingeschlagen hatten. Am Ende gab es dann doch wieder einen „für beide Seiten gerade noch akzeptablen Kompromiss“, Würstel und Bier.

Stattdessen gibt es jetzt Warnstreiks und kämpferische Parolen vom „Morgenjournal“ bis zur „ZiB 24“. Sicher ist das zu bedauern. Denn dass hierzulande die jährlichen Produktionsausfälle durch Streiks in Sekunden zu messen sind, ist keine Folklore, sondern ein handfester Wettbewerbsvorteil. Es war ungeschickt von den Arbeitgebern, schon im August ihre Verhandlungsbasis auszuplaudern. Die Gewerkschaft reagiert überzogen, wenn sie nun alle Forderungen und Drohungen über die Medien verkündet, bevor die Verhandlungspartner sie kennen. Dahinter steht wohl ein Schulterschluss mit den Sozialdemokraten. Der verstößt zwar gegen die Gewaltenteilung zwischen Lohnverhandlern und Politik, aber die Klassenkampfeslust passt halt zu schön zum roten Gesamtpaket mit Reichensteuer und Banken-Bashing.

Dennoch: Bei genauerem Hinsehen muss man den „zu allem bereiten“ Gewerkschaftern fast dankbar sein. Denn sie brechen ein erstarrtes Ritual auf, das jahrzehntelang unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Mit welchen falschen oder richtigen Daten, guten oder schlechten Argumenten, dummen oder gescheiten Theorien da verhandelt wurde, wusste niemand so recht. Weil die Gewerkschaft ihren Kampf über die Medien spielt, ändert sich das: Ein Thema, das alle betrifft, ist endlich auch in aller Munde. Die Nebel hinter den Stehsätzen lichten sich: Das Gros der Unternehmen kann heuer die volle Inflation abgelten, weil die Firmen in der Lage waren, sie in den Preisen unterzubringen. Aber der starke Produktivitätsgewinn ist dieses Mal kein solider Kuchen, den es gerecht zu verteilen gilt, sondern ein wackliges Soufflé, das zusammenfällt, wenn man hineinsticht. In der Krise ging die Produktivität sogar zurück, durch Kurzarbeit und schlechte Auslastung, und eben dies droht nun wieder – was für vorsichtige Einmalzahlungen statt für hohe, in Stein gemeißelte Prozentsteigerungen spricht.

Was solcherart von vielen diskutiert wird, wird auch von vielen verstanden. Und am Ende des Kräftemessens wissen die Österreicher, wer diesmal wen über den Tisch gezogen hat. Verhandlungspartner im Rampenlicht – das schafft zumindest ein wenig Transparenz. Die ideale Lösung ist es noch lange nicht. Die Deutschen sind da weiter. Eine verkehrte Welt: Während hier das Kuschelidyll der Sozialpartnerschaft verblasst, kehrt beim stets streitlustigen großen Nachbarn die Harmonie ein. Die Unternehmerseite lobt die IG Metall über den grünen Klee – weil sie so pragmatisch agiert und konstruktiv verhandelt. Und seltsam genug: Damit gewinnt sie auch noch Mitglieder.

Wie das geht? In Deutschland gibt es keine Zwangsmitgliedschaft bei Kammern und kein allgemeines Verhandlungsmandat für die Gewerkschaften. Deshalb müssen die Metaller in den Betrieben für sich werben: mit der Flexibilität, dass ein Unternehmen, dem es schlechter geht, vom Kollektivvertrag abweichen darf. Indem sie flexiblen Arbeitszeitkonten zustimmen, mit denen Auftragsschwankungen ohne Produktivitätseinbußen abgefangen werden. Und indem sie durch moderate Abschlüsse aktiv mithelfen, dass die deutsche Metallindustrie Exporterfolge feiert.

Von solchen Einsichten sind wir in Österreich freilich noch weit entfernt. Aber wenn wir es je so weit bringen, haben nicht nur vier Funktionäre etwas zu feiern. Es wäre Zeit für eine Runde Würstel und Bier für alle.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2011)

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