Am Beispiel Südafrika: Von der Chance zu einem Aufbruch

Wo einst Menschenrechtsaktivisten gefangen gehalten und erniedrigt wurden, tagt heute der Verfassungsgerichtshof.

Jetzt geschieht das Gericht über diese Welt.
Joh. 12,31

Constitution Hill heißt nun das Areal jenes einstigen Gefängnisses in Johannesburg, auf dem beide Größen des Kampfes um die Menschenrechte im 20.Jahrhundert – Mahatma Gandhi und Nelson Mandela – gefangen gehalten worden sind.

Unzählige weitere politische Häftlinge erduldeten an diesem Ort Repressalien des Apartheidregimes. Ein Teil des Geländes ist als Gedenkstätte gestaltet. Doch das 1994 etablierte Verfassungsgericht entschied, mitten in den „Awaiting Trial Block“ des ursprünglichen Gefängnisses den neuen Verfassungsgerichtshof Südafrikas zu platzieren. Zehn Jahre später wurde das Gebäude eröffnet.

Die Fassade ist mit bunten Schriftzügen in den elf Landessprachen Südafrikas gestaltet. Betritt man das Foyer, überrascht ein offener, lichterfüllter Raum. Die zentrale Idee des Foyers repräsentieren schräge Säulen und stilisierte Blätter, die für den traditionellen afrikanischen Gedanken der „Gerechtigkeit unter den Bäumen“ stehen: Dorfbewohner treffen sich im Schatten der Bäume, um Streitigkeiten zu schlichten.

Das neue südafrikanische Konzept inkludierender und transparenter Rechtsprechung ist im anschließenden Gerichtssaal verwirklicht, dessen Wand aus Ziegeln des einstigen Gefängnisses errichtet ist. Unter den elf Verfassungsrichtern muss eine Person HIV-positiv sein und eine homosexuell, um die Interessen oft marginalisierter Gruppen zu vertreten. Die südafrikanische Entwicklung einer zeitgemäßen Verfassung entspringt dem Wunsch nach umfassender sozialer Gerechtigkeit, der in der biblischen Religion seit Jahrtausenden präsent ist.

Von Ungerechtigkeiten gequälte Menschen rufen Gott als letzte Hoffnung an, wie in Psalm 43: „Schaffe mir Recht, o Gott, und führe meinen Rechtsstreit mit dem gnadenlosen Volk, vor trügerischen und falschen Menschen rette mich!“ Die allgegenwärtige Erfahrung dieser Ungerechtigkeit lässt biblische Beter jenen Tag erhoffen, an dem Gott umfassende Gerechtigkeit über die Welt bringen und damit universale Freude auslösen wird: „Es jauchze die Flur und was auf ihr wächst, jubeln sollen die Bäume des Waldes vor dem Herrn, wenn er kommt, wenn er kommt, um die Erde zu richten. Er richtet den Erdkreis gerecht und die Nationen nach seiner Treue“ (Psalm 96).

Beide Dimensionen – die persönliche und die universale – verbindet Jesus, wenn er kurz vor seinem Prozess das Gericht über die Welt hereinbrechen sieht, im Griechischen die „krisis“ der Welt. In der persönlichen Krise auch des unbedeutsamsten Menschen zeigt sich die Welt im Kleinen.

Der Verfassungsgerichtshof Südafrikas hat mich so sehr beeindruckt, weil er für die Chance der neuen Ausrichtung dieser Nation steht, die aus der Krise des Umsturzes der Apartheid entstanden ist. Welche Krise gibt mir die Chance zur Neuorientierung?

Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentliches Rundschreiben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskräfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.


debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2011)

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