Die Hoffnungsträger der Medizin dürfen nicht mehr patentiert werden, weil für sie Embryos zerstört werden. Das Forschen bleibt erlaubt, wird aber ohne Patentschutz weniger Geld lukrieren.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Dienstag Patente auf embryonale Stammzellen (ES) von Menschen verboten. Diese Zellen wurden 1997 entdeckt, sie wurden zum großen Hoffnungsträger der Medizin, weil aus ihnen theoretisch alle Zelltypen gezogen und als Transplantate eingesetzt werden können. Etwa – irgendwann, man ist noch nicht so weit – in Gehirne von Menschen, die an Alterskrankheiten wie Alzheimer oder Parkinson leiden. Auf dem Gebiet forscht Neurobiologe Oliver Brüstle (Uni Bonn), er erhielt 1999 ein Europa-Patent auf ein Verfahren, mit dem er aus ES Hirnzellen gewonnen hatte. Dagegen klagte 2004 Greenpeace, es hatte früher schon Erfolg beim Bekämpfen von Patenten auf Leben, es hatte ihn auch diesmal.
Brüstle ging in die nächste Instanz, zum deutschen Bundesgerichtshof. Der setzte das Verfahren aus und wandte sich an den EuGH. Dieser befand nun, dass „ein Verfahren, das durch die Entnahme von Stammzellen, die aus einem menschlichen Embryo im Blastozystenstadium gewonnen werden, die Zerstörung des Embryos nach sich zieht, von der Patentierung auszuschließen ist“. Das klingt nur kompliziert: ES werden aus fünf Tage alten Embryos gewonnen, sie werden dabei zerstört. Allerdings verwendet man für ES meistens überzählige Embryos aus der künstlichen Befruchtung, die ohnehin entsorgt werden, in den Müll.
Was ist ein Embryo?
Trotzdem haben ES für so heftige Debatten gesorgt, dass in Deutschland zwar an ihnen geforscht werden darf, aber hergestellt werden dürfen sie nicht, nur importiert. (So ist es auch in Österreich: Es gibt keine explizite Regelung, aber man darf forschen, nicht herstellen.) Daran ändert der Gerichtsbeschluss nichts: Die ES-Forschung selbst ist weiterhin erlaubt, verboten ist nur das Patentieren von Erfindungen, die bei ihr anfallen. Und verboten ist es deshalb, weil der EuGH den in der Biopatentrichtlinie der EU geschützten „menschlichen Embryo“ breit definiert hat: „Jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an“ ist ein Embryo und damit nicht patentierbar. Brüstle hat das Ergebnis kommen sehen und es im Vorfeld als „das schlimmstmögliche“ bezeichnet. Das tat er im Wissenschaftsjournal „Nature“, in dem auch die führenden Stammzellforscher Europas „tiefe Sorge“ beim Gericht deponierten: „Wenn das Patentverbot käme, könnten europäische Entdeckungen andernorts in Anwendungen umgesetzt werden.“ Denn die Industrie investiert nur dort, wo sie Patentschutz hat, in den USA etwa, wo seit einem Jahr klinische Tests mit ES laufen. Sollte in ihnen europäisches Know-how stecken und therapeutisch wertvoll werden, werden Europäer es eines Tages (zurück-)kaufen müssen.
Wandert die Forschung ab?
Allerdings ist das ES-Feld relativ klein – eine Verödung der Biomedizin in Europa wird das Urteil nicht bringen –, und auch in den USA ist die ES-Forschung so restringiert, dass die Forscher fürchten, ihre Entdeckungen bzw. deren Nutzung würden abwandern, nach Ostasien. Aber auch dort ist die erste ES-Euphorie vorbei, ein großes halbstaatliches Institut in Singapur (ES Cell International), das Weltführer hatte werden wollen, wurde schon verkleinert und verkauft.
In diesem Sinn argumentiert auch Christoph Then, Patentexperte von Greenpeace, gegenüber der „Presse“: „Was Brüstle macht, ist veraltet.“ In den Augen Thens haben ES ausgedient, die neuen Könige heißen iPS. Das sind ES-ähnliche Zellen, die nicht von Embryos gewonnen werden, sondern durch Verjüngung von Zellen von Erwachsenen. Bei ihnen liege die Zukunft, das zeige sich auch in der europäischen Patentstatistik. „Seit 2006 wird bei ES so gut wie nichts mehr patentiert“, erklärt Then, „aber Patente in verwandten Feldern wie iPS steigen.“ Insofern biete das Urteil „nichts grundsätzlich Neues. Aber es bringt klare Leitlinien, an denen sich alle orientieren können.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2011)