300 Mio. Euro kostet der höchste Lohnabschluss seit vielen Jahren die heimische Metallindustrie. Ökonomen hätten angesichts der Abschwächung der Konjunktur lieber mehr Einmalzahlungen gesehen.
Wien/Hie/Juk/Jaz. Bis in die frühen Morgenstunden haben die Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaft verhandelt. Schlussendlich konnten sie doch noch ein Ergebnis präsentieren: Durchschnittlich 4,2Prozent Lohnerhöhung für die rund 173.000 Beschäftigten der Metallindustrie sind der höchste Abschluss seit Jahren. Trotzdem sprachen auch die Vertreter der Unternehmen von einem „sozial ausgewogenen, aber auch wirtschaftlich vertretbaren Abschluss“.
Besonders zufrieden zeigten sich naturgemäß die Vertreter der Gewerkschaft, die sich mit ihrer Ablehnung von Einmalzahlungen vollständig durchsetzten. Es sei „ein guter Abschluss für die gesamte Volkswirtschaft“, sagte ÖGB-Präsident Erich Foglar. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner war indessen vor allem erfreut, dass das Ergebnis „am Verhandlungstisch und nicht auf der Straße“ erzielt wurde. Kritik gab es lediglich von der Industriellenvereinigung. Sie sieht den Abschluss angesichts der konjunkturellen Situation als „große Bürde für die Unternehmen“.
Doch welche volkswirtschaftliche Bedeutung hat der Metaller-Abschluss wirklich? Laut den Wirtschaftsvertretern belaufen sich die zusätzlichen Kosten für die Unternehmen auf 300 Mio. Euro jährlich. Für die Arbeitnehmer ergibt das bei einer für 2012 erwarteten Inflation von rund zwei Prozent eine reale Lohnsteigerung von 2,2Prozent. Angesichts der Gewinne der Unternehmen in den vergangenen eineinhalb Jahren wäre das eine vertretbare Größe, sagt IHS-Chef Bernhard Felderer. Allerdings werden die Lohnsteigerungen erst im kommenden Jahr wirklich schlagend werden. Und dann sieht die Situation diametral anders aus.
„Für 2012 könnten unsere Prognosen von 1,3Prozent Wirtschaftswachstum immer noch zu positiv ausgefallen sein“, sagt Felderer. So dürfte auch die Metallindustrie „spätestens“ in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres „Schwierigkeiten bekommen“. Zur Zeit gebe es einen „dynamischen Prozess nach unten“, so der Ökonom. In einer solchen Situation wäre es daher sinnvoller gewesen, die konjunkturell getriebene Produktivitätssteigerung „zumindest partiell“ durch Einmalzahlungen weiterzugeben.

Verhandlungen auf Betriebsebene?
Zudem gebe es auch während konjunkturell guter Phasen deutliche Unterschiede zwischen den Firmen. „Einige können sich so eine Lohnsteigerung leicht leisten, andere nicht“, sagt Felderer. Er plädiert daher dafür, dass es wie in Deutschland möglich sein sollte, dass Unternehmen sich aus dem Kollektivvertrag „herausoptieren“ und die Lohnverhandlungen auf Betriebsebene stattfinden lassen. Die Angst der Gewerkschaft, dass die Arbeitnehmer dann unter die Räder kommen, versteht er nicht: „Gerade auf Betriebsebene sind Firmen mittels Streiks noch viel eher erpressbar.“ In Deutschland würden daher viele Firmen auch wieder zum Kollektivvertrag zurückkehren.
Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Signalwirkung des Abschlusses. Die Metaller sind traditionell die ersten, die verhandeln. In der Vergangenheit folgten der Handel oder der öffentliche Dienst immer der Tendenz der Metallindustrie (siehe Grafik). Felderer kann sich jedoch „nicht vorstellen“, dass Bereiche mit geringen Produktivitätsfortschritten ähnliche Lohnsteigerungen wie die Metaller erzielen können.
Die Handels-Angestellten sind als Nächstes dran. Sie beginnen ihre Gespräche heute, Mittwoch. Ob die Handels-Gewerkschaft ähnlich hoch pokert wie die Metaller mit einer Forderung von 5,5Prozent, ließ sie bis zuletzt offen. Den Abschluss der Metaller sehe man als „sehr erfreulich“ an, auf konkrete Zahlen wollen sich die Vertreter der rund 450.000 Handels-Angestellten aber erst kurz vor der ersten Verhandlungsrunde einigen. Diese wolle man auch nicht öffentlich bekannt geben. Auch die Gewerkschaft der heimischen Beamten, die in Bälde ihre Kollektivvertrags-Verhandlungen beginnt, will keine Forderung bekannt geben.
Den Metallern brachte der diesjährige offensive Zugang mit hoher öffentlicher Forderung und frühen Streiks einen deutlichen Erfolg. Nachfolgend die Einigung im Detail:
•Im Durchschnitt werden Ist- und Mindestlöhne um 4,2Prozent gesteigert. Die unteren Einkommensgruppen erhalten eine stärkere Erhöhung um 4,4 Prozent, die höchsten ein Plus von 3,8Prozent. Der mindeste Anstieg eines Monatslohns beträgt 80 Euro. Hilfsarbeiter bekommen so unter dem Strich sogar 5,3Prozent mehr. Einmalzahlungen gibt es heuer – anders als im Vorjahr – keine.
•Für Betriebe, die in der Krise Verluste gemacht haben, wurde eine „Standortklausel“ ausgehandelt: Unternehmen, die in den vergangenen drei Jahren mindestens zwei Mal kein positives Betriebsergebnis hatten, dürfen die 4,2Prozent aufsplitten – indem sie die Löhne und Gehälter generell nur um 3,8 Prozent erhöhen und die Differenz für individuelle Erhöhungen reservieren. In Summe muss aber alles ausgeschüttet werden.
•Darüber hinaus werden künftig Elternkarenzzeiten für Lohn- und Gehaltsvorrückungen berücksichtigt. Bis zu 16 Monate pro Kind sollen demnach angerechnet werden. Betroffen sind Mütter und Väter, die ab dem 1.November in Karenz gehen. Bis jetzt wurden bis zu zehn Monate angerechnet – und das nur für ein Kind. Dass Karenzzeiten nicht ausreichend angerechnet werden, ist einer der Hauptgründe für die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen.
Gewerkschaft will mehr Karenz-Anrechnung
Vor allem über den letzten Punkt freuen sich auch die Handels-Gewerkschafter. Sie wollen dieses Ergebnis jedoch noch steigern, auf die „volle Anrechnung“ der Karenzzeit von bis zu zwei Jahren. Auch im Handel können sich Eltern bisher maximal einmal zehn Monate anrechnen lassen. Dies gilt außerdem nur für die sechste Urlaubswoche, die Kündigungsfrist und die Entgeltfortzahlung beim Krankengeld. Keine Anrechnung gebe es etwa bei Abfertigungen oder Sonderzahlungen.
Würden Karenzmonate vollumfänglich in die geleisteten Berufsjahre eingerechnet, hätten die betroffenen Frauen laut Gewerkschaft monatlich brutto 50 bis 200 Euro mehr am Konto (Vollzeitangestellte mit zwei Kindern). Angesichts des niedrigen Lohnniveaus im Handel „keine vernachlässigbare Größe“.
Arbeitgebervertreter können mit dieser Forderung wenig anfangen. Kollektivverträge seien nicht das richtige Instrument für Frauenförderung. Das „Vorrückungsschema“ sei geschaffen worden, um gesammelte Erfahrung im Betrieb abzugelten. Zudem arbeiten im Handel – anders als bei den Metallern – überwiegend Frauen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2011)