Oxonitsch: Heute "vieles anders zu beurteilen"

(c) Clemens Fabry
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Der Wiener Jugendstadtrat Christian Oxonitsch im Interview mit derr "Presse" über eine politische Verantwortung und die Möglichkeiten, die Opfern von Missbrauch in Wiener Kinderheimen zur Verfügung stehen.

Die Presse: Gibt es politische Verantwortung für die Missbrauchsvorfälle?

Christian Oxonitsch: Es ist meine politische Verantwortung, die Aufklärung jetzt zügig voranzutreiben. Jetzt Schlüsse zu ziehen wäre voreilig und würde die Aufgabe der detaillierten Untersuchung überflüssig machen. Das ist derzeit die zentrale Zielsetzung.

 

Wurde nicht seitens der Stadt Wien viel zu spät reagiert?

Es ist retrospektiv immer vieles anders zu beurteilen. Der Beschluss, die Stadt des Kindes (ein damaliges Reformprojekt, Anm.) zu bauen, ist in den 1960ern gefallen. Die Frage ist nicht, ob zu spät reagiert wurde, sondern: Warum wurden die Strukturen im Inneren von Anfang an nicht verändert? Warum ist der Bruch mit den Erziehungsmethoden des Dritten Reichs nicht früher erfolgt? Aber ein Heim mit 120 Kindern von heute auf morgen zu schließen, dafür braucht man auch vernünftige und gute Ersatzunterkünfte. Das braucht Zeit. Das mag manchem zu langsam gegangen sein, nur: Ich weiß nicht, ob es schneller gegangen wäre, weil es viele der heutigen Anschuldigungen damals nicht gegeben hat.

 

Können Sie garantieren, dass niemand mehr in verantwortungsvoller Stelle ist, der für Missstände verantwortlich ist?

Alles zu garantieren ist schwierig. Alle Namen, die vom Anwalt der betroffenen Frauen in dem Schreiben im September genannt wurden, wurden überprüft. Über zwei Personen hinaus, die noch im Dienst sind, ist uns nichts bekannt.

Wie kann garantiert werden, dass nicht auch in den neuen Wohngemeinschaften Missbrauch stattfindet?

Der wichtigste Unterschied zur Heimerziehung, die bis in die 1970er-Jahre gereicht hat, ist: Wir haben hervorragend ausgebildete Pädagogen und Pädagoginnen. Früher konnte wirklich jeder Erzieher in einem Heim werden. Der zweite Unterschied: Diese Wohngemeinschaften und Wohngruppen sind keine geschlossenen Einheiten mehr, wo alles im Heim stattfindet. Die Kinder gehen heute in eine öffentliche Schule, gehen zum praktischen Arzt – sie haben permanent Möglichkeiten, Hilferufe auszusenden. Sie können sich frei bewegen, und wir kontrollieren streng.

 

Welche Möglichkeiten gibt es noch?

In all unseren Einrichtungen ist die Telefonnummer von „Rat auf Draht“ aufgehängt, damit die Kinder eine anonyme Anlaufstelle haben. Wenn es entsprechende Anzeichen gibt, wird das sofort an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2011)


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