Bulgariens sanfte Landung in der Realität

(c) AP (Petar Petrov)
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Premier Bojko Borissow hat die politische Landschaft nachhaltig verändert. Seiner Partei werden an diesem Wahlsonntag gute Chancen eingeräumt. Wie lange aber hält sein Erfolgskurs noch an?

Ein Bulgare, der lange Zeit im Ausland gelebt hat, kehrt in seine Heimat zurück und fragt seinen Freund: „Sag mir mit einem Wort, wie ist die Lage?" „Gut", lautet dessen Antwort. „Komm schon, sag mir mehr!", fordert der Mann ungeduldig seinen Freund auf. „Gut."


Gut - diese Zustandsbeschreibung kann es bei den zum lebenspraktischen Pessimismus neigenden Bulgaren eigentlich nicht geben. An dem Wörtchen mit den drei Buchstaben muss etwas faul sein, ist der Reflex des Durchschnittsbürgers.


Dieser Witz illustriert aber auch die derzeitige politische Gefühlslage in dem 7,6-Millionen-Einwohner-Land: Vor zwei Jahren hatte Bojko Borissow, der früher für das Innenministerium Jagd auf Gangster machte und dann zum Oberbürgermeister der Hauptstadt Sofia avancierte, das Premiersamt übernommen. „Die großen Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet, die Hoffnungen leider auch nicht", sagt Iwan Krastew, aus Bulgarien stammender Forscher am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien. „Nun ist man in der Zwickmühle."
Borissow, der Robin Hood der bulgarischen Politik, hat, seit er an der Macht ist, zwar an Charisma verloren - eine wirkliche Alternative zu ihm zwei Jahre vor den nächsten Parlamentswahlen ist jedoch nicht in Sicht.

Demokratie der Protestwähler

Das Auftauchen von politischer Konkurrenz wäre indes nicht gänzlich unmöglich: Sowohl Borissow als auch der zuvor aus Spanien zurückgekehrte Exkönig Simeon Sakskoburggotski eroberten das Parlament auf einen Schlag - von außerhalb. Und jede Regierung im Bulgarien der Nachwende-Ära wurde bis jetzt noch nach ihrer ersten Amtszeit von der Masse der Protestwähler abgewählt.
Zumindest aus heutiger Sicht droht dieses Schicksal Borissows konservativer Bewegung Gerb - ein Akronym für „Bürger für eine europäische Zukunft Bulgariens" - nicht. Am großen Wahlsonntag in drei Tagen - abgehalten werden die erste Runde der Präsidentenwahlen (s. Artikel unten) und die Lokalwahlen - gilt ein Sieg des Regierungskandidaten und ein Ausbau der Mandate auf lokaler Ebene als sehr wahrscheinlich.
Die Lokalwahlen sind für die Machtfestigung der Partei in den Regionen wichtig. Man buhlt verstärkt um die Stimmen der türkischen Minderheit, eigentlich die unbezwingbare Hausmacht von Achmed Dogan, dem bisher einflussreichsten Politiker der letzten 20 Jahre. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Borissow es mit Dogan aufnehmen will.


„Bate Bojko", wie ihn seine Unterstützer amikal nennen, großer Bruder, hat die Politszene bereits nachhaltig verändert: Bestimmte früher der ideologische Konflikt zwischen Sozialisten und ihren Gegnern aus dem zersplitterten prodemokratischen Spektrum die Debatten, finden sich die beiden nun gleichermaßen am Rand wieder. Lediglich die Ultranationalisten von Ataka machen Borissow in Sachen Populismus Konkurrenz.

Keine „großen Fische" gefangen

Zweifellos stehen auf der Habenseite der Regierung der konsequente wirtschaftliche Reformkurs. Das Vorhaben, gegen Korruption und organisierte Kriminalität anzugehen und wichtige Fälle vor Gericht bringen zu wollen, war indes weniger erfolgreich: Auf Verdacht verhaftete „große Fische" mussten wieder freigelassen werden, die Europäische Union kritisiert in ihren halbjährlichen Berichten - Teil der fortgeführten Brüsseler „Beobachtung" Bulgariens seit dem Beitritt 2007 - weiterhin das Justizwesen und die Bestechlichkeit der Behörden. Und die Bevölkerung leidet unter dem Stigma, noch immer im ärmsten Land Europas zu leben.


Doch im Leben vor allem der jungen Generation hat sich in den vergangenen Jahren einiges zum Positiven verändert: Heute reisen die Bulgaren selbstverständlich in andere europäische Länder, in einigen EU-Staaten können sie legal arbeiten, bulgarische Jugendliche verbringen nicht mehr nur als Erntehelfer ihre Zeit in Westeuropa, sondern als Studenten. „Gut", würden da sogar Pessimisten sagen.

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