Experte: "Libyen braucht nicht Hilfe um jeden Preis"

Fighters with Libyas interim government celebrate in the centre of Bani Walids interim government celebrate in the centre of Bani Walid
Fighters with Libyas interim government celebrate in the centre of Bani Walids interim government celebrate in the centre of Bani Walid(c) REUTERS (Ismail Zitouni)
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Libyen-Experte Günter Meyer spricht im "Presse"-Interview über mögliche Auswirkungen von Gaddafis Tod und seine Einschätzung der Islamisten im Wüstenstaat.

Die Presse: Ist mit dem Tod Gaddafis der letzte Widerstand des alten Regimes gebrochen, oder ist zu befürchten, dass es zu einem Guerillakrieg mit Anschlägen à la Irak kommt?

Günter Meyer: Das hat man befürchtet, solange Gaddafi noch ständig durch Aufrufe im Radio seine Anhänger mobilisieren konnte. Es gab vor zwei Wochen eine Gruppe in Tripolis, die kurzfristig eine Reihe von Anschlägen verübte, dann aber gefangen genommen wurde. Jetzt, da Gaddafis Tod bestätigt wurde, dürfte der letzte Widerstand zusammenbrechen. Wir können damit rechnen, dass jetzt eine neue Phase für Libyen beginnt - wobei diese nicht einfach werden wird.

Es haben sich schon erhebliche Spannungen gezeigt zwischen den verschiedenen Gruppierungen: Es gibt die nationalistisch-arabische Richtung, die sich gegen jede Einmischung des Westens zur Wehr setzt, dann gibt es die Salafisten, denen auch einige der militärischen Führer angehören, das Spektrum reicht bis zu Sozialisten und Liberalen, die einen säkularen Staat etablieren wollen. Und alle haben unterschiedliche Zielsetzungen. Die wesentlichen Entscheidungen, wie es politisch weitergehen soll, sind bisher zurückgestellt worden.

Bis heute.

Meyer: Ja, jetzt, wird zunächst einmal gejubelt, aber in den nächsten Tagen müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden, und da ist mit erheblichen politischen Auseinandersetzungen zu rechen.


Können die in Gewalt umschlagen?

Meyer: Das ist nicht unbedingt zu erwarten. Bisher haben sich auch die islamistischen militärischen Führer zurückgehalten und gesagt, sie wollen diese Konflikte nicht gewaltsam regeln. Aber es wird ein harter politischer Kampf um die Macht.

Schadet es den Rebellen, dass sich der Diktator jetzt nicht mehr vor Gericht für seine Taten verantworten muss?

Es wäre wünschenswert gewesen, ihn vor Gericht zu stellen, aber das Thema Gaddafi ist nun ein für allemal erledigt, und man kann dazu übergehen, sich um die Zukunft zu kümmern. Gaddafis Söhne, die offenbar verhaftet wurden, müssen selbstverständlich vor Gericht gestellt werden. Sie haben so viel Blut an den Händen, dass auch das Abarbeiten der Verbrechen der Söhne und einiger seiner engsten Gefolgsleute die libyschen Gerichte einige Zeit beschäftigen wird.

Welche wichtigen Weichenstellungen stehen in den nächsten Wochen an, welche Gefahren lauern?

Da es so gut wie keine demokratischen Strukturen und zivilgesellschaftlichen Organisationen gibt, hat man eine relativ lange Übergangsphase bis 2013 vorgesehen. Als erstes ist jetzt wichtig, dass sich die unterschiedlichen Interessengruppen darauf einigen, wer in der neuen Übergangsregierung vertreten sein soll, die innerhalb eines Monats eingesetzt werden soll. Hier wird es sehr auf eine ausgewogene Zusammensetzung ankommen, wobei auch alle relevanten Stämme und regionalen Interessen vertreten sein sollten.

Welche Rolle spielen die Stämme tatsächlich?

Eine wichtige, aber sie haben keineswegs alleine das Sagen. Der größte Teil der Bevölkerung lebt in Städten, und die Gesellschaft dort ist nur mehr schwach mit den Stammesstrukturen verbunden. Die Stämme sind ein Akteur unter anderen, wobei die militärischen Führer der Aufständischen, deren Einheiten in der Regel nur aus Kämpfern eines Stammes gebildet wurden, jeweils eine große Rolle spielen werden.

Wie schätzen Sie die Bedeutung der Salafisten ein?

Radikale Islamisten haben zwar früher in der Opposition eine große Rolle gespielt als einzige Kraft. Aber nachdem Gaddafi seine Herrschaft verloren hat, ist nicht zu erwarten, dass konservative Islamisten ans Ruder kommen werden. Wir können eher von einem gemäßigten Islam ausgehen.

Welche Rolle kann und soll der Westen bzw. die Nato in Zukunft spielen?

Meyer: Die Nato sollte schnellstmöglich aus dem Land heraus, sie wird nicht mehr gebraucht. Der Westen bietet sich an, will natürlich seinen Einfluss nutzen, um Geschäfte zu machen, wobei es vor allem um das libysche Erdöl geht. Angesichts der nationalistischen und konservativ-islamischen Gruppen ist aber davon auszugehen, dass Engagement und Einflussnahme des Westens mit großem Misstrauen beäugt werden. Libyen ist in Position, dass es nicht Hilfe um jeden Preis aus dem Ausland braucht. Es hat genug Geld und wird sich seine Unterstützer selbst aussuchen. Dass die Länder, die die der Nato-Intervention vorangetrieben haben, auch längerfristig eine große Rolle spielen werden, muss nicht zwangsläufig so sein.

Zur Person: Günter Meyer leitet das "Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt" an der Gutenberg-Universität in Mainz.

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