Missbrauchs-Opfer: Ruf nach staatlicher Kommission

MissbrauchsOpfer nach staatlicher Kommission
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Brigitte Lueger-Schuster, Klinische Psychologin an der Universität Wien, spricht mit der Presse über die Wichtigkeit einer staatlichen Kommission und die Folgestörungen bei Missbrauchsopfern.

Wien. Der Ruf nach einer staatlichen Kommission zur Aufarbeitung diverser Missbrauchsfälle innerhalb institutionalisierter Einrichtungen wird immer lauter. Als Reaktion auf die schweren Missbrauchsvorwürfe im ehemaligen Kinderheim Wilhelminenberg wurde von der Stadt Wien – wie berichtet – eine eigene Kommission eingerichtet. So gibt es außer der von der Kirche eingesetzten Klasnic-Kommission für Opfer im kirchlichen Kontext zwar lokale und regionale Kommissionen, eine übergeordnete staatliche Kommission fehlt aber nach wie vor.

Gerade diese wäre für Opfer aber besonders wichtig, erklärt Brigitte Lueger-Schuster, Klinische Psychologin an der Universität Wien, im Gespräch mit der „Presse.“ Die Expertin für Traumafolgestörungen betonte am Rande einer Fachtagung des Berufsverbandes der Psychologen die Wichtigkeit einer staatlichen Kommission aus mehreren Gründen. „Es braucht eine angemessene Antwort für alle Opfer, die in einem institutionellen Kontext missbraucht worden sind. Dabei geht es um Opferanerkennung. Eine staatliche Kommission ist symbolisch wahrscheinlich bedeutungsvoller und hat daher eine bessere Wirkung auf das betroffene Individuum“, sagt Lueger-Schuster. Außerdem seien übergeordnete Standards besonders wichtig. Es sei zwar richtig, auf lokale Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen – weshalb die Länderkommissionen ihre Arbeit weiterführen sollten – die einzelnen Stellen brauchten aber ein gemeinsames Dach. „Ich glaube nicht, dass lokale Kommissionen schlecht arbeiten, ich kann mir aber gut vorstellen, dass sie unterschiedlich arbeiten.“

 

Nicht ernst genommen werden

Hinzu komme, dass hinter Heimen oft komplexe Organisationsstrukturen standen. „So kann ein Heim von der Kirche geführt worden und unter Aufsicht eines Landes gestanden sein.“ Mit einer staatlichen Kommission lasse es sich eher vermeiden, dass ein Missbrauchsopfer aufgrund von Unklarheiten bei der Zuständigkeit nicht gehört wird. „Es ist für Opfer besonders problematisch, wenn sie das Gefühl haben, sie werden nicht wahrgenommen.“

Einen weiteren Vorteil hätte die staatliche Kommission für die Psychologin: die Unabhängigkeit. Während sich etwa die Klasnic-Kommission, die zwar unabhängig arbeitet, aber von der Kirche beauftragt wurde, gegen den Vorwurf der kirchlichen Einflussnahme wehren muss, müsse sich eine staatliche Kommission damit nicht beschäftigen. „Dieser könnte man jenen Vorwurf nicht machen.“

Auch ein „Presse“-Rundruf bei den einzelnen Länderkommissionen hat den Wunsch nach einer staatlichen Kommission deutlich gemacht – gepaart mit der Unverständlichkeit, warum der Bund hier noch säumig ist.

 

Kommission plus Therapie

Im dafür zuständigen Unterrichtsministerium verweist man lediglich darauf, dass die Kommission in Arbeit sei. „Wir sind schon recht weit. Es geht vor allem noch um rechtliche Details“, sagt Josef Galley, Pressesprecher von Unterrichtsministerin Claudia Schmied. Dass die staatliche Kommission noch heuer kommen werde, glaubt er aber nicht.

Aber nicht nur die Wichtigkeit einer staatlichen Kommission wird von Lueger-Schuster betont – die Expertin rückt auch die Notwendigkeit einer psychotraumatologisch fundierten Therapie bei Kindern, die Opfer von körperlichem, seelischem oder sexuellem Missbrauch wurden, in den Mittelpunkt. Bei Kindern komme nämlich mit der speziellen Opfer-Täter-Beziehung noch eine zusätzliche Dynamik hinzu. „Der Täter kam in der Regel dem Kind nicht in Form eines Überfalls nahe, sondern hat sich in dieses Kinderleben eingeschlichen“, so die Psychologin.

Das habe eine Auswirkung auf die kindliche Entwicklung – auf kognitiver Ebene, auf der Ebene der Emotionen, jener des Vertrauens sowie auf die gesamte Identitätsentwicklung. „In der Regel wirkt das nachhaltig und langfristig. Außer das Kind genießt Schutz durch eine enge Bezugsperson, die sofort etwas unternimmt. Was aber bei dem aktuellen Fall am Wilhelminenberg mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der Fall war.“

 

Langfristige Folgen

Verschärft werde die Problematik im aktuellen Fall durch eine Struktur der Institution, die alles andere als liebevoll war, sondern vielmehr streng und mit negativen Einflüssen ausgestattet wurde. Lueger-Schuster spricht damit Praktiken wie Wegsperren oder Entwerten und Entwürdigen an. Dies verursache eben schwere, langfristige Folgen, unter denen die Opfer „mit hoher Wahrscheinlichkeit heute noch leiden“.

Bei Missbrauch im „institutionalisierten Kontext“ komme auch für Opfer die Frage, wie denn all das passieren konnte, hinzu. Das führe zum Bedürfnis einer Entschuldigung sowie einer Entschädigung – „verknüpft mit einer sehr angemessenen und sehr berechtigten Wut“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2011)


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