Rechtskonservative SVP verliert in der Schweiz

Wahlen Schweiz etabliert sich
Wahlen Schweiz etabliert sich(c) REUTERS (CHRISTIAN HARTMANN)
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Der Vormarsch von Blochers Schweizerischer Volkspartei wurde gestoppt. Die Grünliberalen und Bürgerlich-Demokraten legten bei den Parlamentswahlen zu. Die Freisinnigen verloren.

Zürich. Die Schweiz erlebt eine politische Kehrtwende. Nach jahrelangem Aufwärtstrend verliert die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) erstmals Wählerstimmen. Laut Hochrechnungen erlitten die Partei von Milliardär Christoph Blocher ebenso wie die Freisinnigen (FDP) bei den Parlamentswahlen Verluste. Die SVP verfehlt ihr Wahlziel von 30 Prozent deutlich. Sie kommt noch auf einen Wähleranteil von 26,8 Prozent (-2,1), bleibt damit aber die stärkste Formation.

Auch in der Mitte der politischen Landschaft verschiebt sich das Gewicht von den traditionellen bürgerlichen Parteien FDP und den Christdemokraten (CVP) zu den Neugründungen der Grün-Liberalen (GLP) und der Bürgerlich-Demokraten (BDP). Die Freisinnigen verlieren 2,7 Prozentpunkte und haben noch einen Anteil von 15 Prozent. Die Christdemokraten bleiben mit 12,1 Prozent (-2,4) hinter dem Freisinn zurück, während die Sozialdemokraten (SP) mit leichten Verlusten auf 18,9 Prozent kommen und damit zweitstärkste Partei bleiben.

Die Mitte ist breiter geworden

Federn lassen mussten auch die Grünen, vor allem wegen des Vormarschs der GLP. Sie erhielten 8,3 Prozent (-1,3). Gewinner sind die Grünliberalen mit 5,5 Prozent (+4,1) und die BDP mit 5,4 Prozent (+5,4).

Die EU- und Einwanderungsgegner der Schweizerischen Volkspartei zielten mit ihrem aufwändig geführten Wahlkampf vor allem auch auf Gewinne im Ständerat, der kleinen Kammer in Bern. Dieser Versuch ist gescheitert. Allerdings wird in vielen Kantonen eine Stichwahl nötig, zum Beispiel in Zürich. Dort kam Blocher, der charismatische Führer der Rechtskonservativen, bloß auf den dritten Platz hinter den bisherigen Ständeräten, der grünliberalen Verena Diener und dem freisinnigen Felix Gutzwiller. Der SVP-Politiker bewarb sich zugleich um einen Nationalratssitz, den er wohl problemlos gewinnen wird. Damit wird Blocher in Bundesbern nach vier Jahren Absenz wieder vertreten sein. Der von Blocher als Bundesratskandidat favorisierte SVP-Fraktionschef Caspar Baader unterlag im Rennen um die Ständeratsvertretung des Halbkantons Basel-Landschaft klar dem sozialdemokratischen Amtsinhaber Claude Janiak. Im traditionell SVP-freundlichen Aargau kam es zu einer kleinen Sensation, als die bisherige SP-Nationalrätin Pascale Bruderer auf Anhieb in die kleine Kammer gewählt wurde.

Der Vormarsch der Grünliberalen, die unter anderem vom Fukushima-Effekt profitierten, und der BDP der Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf stärkt die politische Mitte. Die BDP ist eine Neugründung von SVP-Dissidenten und scheint den Rechtspopulisten und der FDP mancherorts Stimmen abgegraben zu haben. Der Aufstieg der Grünliberalen und der Widmer-Schlumpf-Partei geht auf Kosten der Christdemokraten, der Freisinnigen und der Grünen. Die Wahlbeteiligung lag mit 48,4 Prozent.

Neue Mitglieder in der Regierung

Der Rutsch Richtung Mitte könnte sich auf die Wahl der sieben Bundesräte, der Minister, auswirken. Diese werden am 14. Dezember von beiden Kammern bestellt. Außenministerin Micheline Calmy-Rey, eine der beiden Sozialdemokratinnen in der Regierung, tritt zurück und muss ersetzt werden.  Der Anspruch der SP auf zwei Bundesratssitze wird durch die jüngsten Wahlen wohl kaum gefährdet, aber jener der Freisinnigen schon. Zudem können auch die 5,4 Prozent der BDP rein arithmetisch den Sitz der Finanzministerin Widmer-Schlumpf nicht legitimieren. Den Rechtspopulisten steht dagegen – als voraussichtlich weiterhin stärkste Formation – ein zweiter Sitz zu.

Voraussagen über den Ausgang der Regierungsbildung sind extrem schwierig, weil die Parteien hinter den Kulissen und oft im letzten Moment Absprachen treffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2011)

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