Forschung. Der aus Mailand stammende Forscher Giulio Superti-Furga leitet in Wien das Zentrum für Molekulare Medizin, in dem nach der individuellen Behandlung für jeden Patienten gesucht wird.
Der Gewinner in der Kategorie Forschung schloss seine Dankesrede mit einem Appell an Jugendliche: „Werdet Forscherin oder Forscher! Das Land braucht euch, und ich garantiere: Es macht riesigen Spaß!“ Giulio Superti-Furga saß selbst am Tisch mit Jugendlichen: Die 15-jährige Tochter und der 17-jährige Sohn haben ihre Eltern zur Gala am Nationalfeiertag begleitet. Nach der Preisverleihung verriet der weltbekannte Forscher: „Durch diese Nominierung waren meine Kinder erstmals von dem beeindruckt, was ich mache.“
Es ist auch nicht so einfach zu erklären, was der Vater so macht in seinem Labor: Superti-Furga leitet das Zentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), das seit Anfang 2011 in neue Räumlichkeiten mitten im Wiener AKH gezogen ist. Hier stehen Proteine und ihre Wechselwirkungen im Fokus: Man nennt das Forschungsgebiet „Proteomics“. Das Zusammenspiel der Proteine entscheidet immerhin über Leben und Tod jeder Zelle. Der Mensch besitzt ungefähr 20.000 Gene, diese liefern die Informationen für über 500.000 (!) Proteine, die im menschlichen Körper produziert werden.
Sein Ziel: Personalisierte Medizin
Die Zusammensetzung der großen Vielzahl an Proteinen ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Und Superti-Furga konzentriert sich auf das, was jeden Menschen einzigartig macht – mit dem Ziel, eine „personalisierte Medizin“ verfügbar zu machen. „Zurzeit wird die Hälfte der Medikamente umsonst gegeben, weil sie bei bestimmten Menschengruppen wirkungslos sind“, sagte Superti-Furga zur „Presse“. Mit hochtechnischen Methoden erforscht sein Team (etwa 100Mitarbeiter im CeMM), welche Behandlung bei welchen Patienten am besten funktionieren könnte. „Wir versuchen Grundlegendes zu entdecken, das klinisch relevante Probleme lösen kann“, sagt Superti-Furga.
Die Lage des Labors im AKH-Campus (Med-Uni Wien) ist genau richtig: Aus der Klinik kommen Mediziner mit ungelösten Fragen ins Labor, und die Ergebnisse der Forschung können direkt in die Klinik zurückfließen. Superti-Furga sieht ein Netzwerk von Forschern aus verschiedensten Disziplinen als einzige Möglichkeit, das komplexe Netzwerk der Gene und Proteine im Körper zu verstehen. Das internationale Team erlangte kürzlich große Erfolge, als man entdeckte, warum bestimmte Medikamente gegen Brustkrebs bei manchen Frauen nicht wirken; ebenfalls wurde ein neuer Angriffspunkt gefunden, mit dem man eine häufige Leukämieform besser bekämpfen kann.
Auch der Lebenslauf von Superti-Furga ist international: Geboren in Mailand, besuchte er dort eine deutsche Schule und studierte später in Zürich. Von dort ging es nach Wien an das IMP, wo er seine österreichische Frau kennenlernte. Dann lebte und forschte er längere Zeit in Heidelberg, bis er 2004 zurück nach Wien kam, um das CeMM als Zentrum der kliniknahen Grundlagenforschung aufzubauen. Dass Superti-Furga aus Mailand stammt, sieht man ihm bis heute an: Nicht nur er, seine ganze Familie tritt äußerst stilvoll gekleidet auf. Im feinsten Anzug erzählt Superti-Furga dann recht leger: „Für mich ist die Zukunft keine Horrorvision, sondern eine positive Vision: Das Individuum wird aufgewertet!“ Seine Zukunftsvision wäre eine Maschine: „Wenn man morgens hineinspuckt, sagt die Maschine voraus: ,Passen Sie heute auf und trinken Sie nicht mehr als zwei Gläser Wein.‘“ Ein Gerät also, in dem medizinische Daten gespeichert sind, das den täglich unterschiedlichen Proteinmix des Menschen analysiert.
Wo österreichische Forschung drinsteckt
Zu den Gratulanten zählten auch Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle, Vetmed-Rektorin Sonja Hammerschmid und freilich die anderen Nominierten der Kategorie Forschung: z.B. Alexandra Kautzky-Willer (ebenfalls Med-Uni Wien), die an angepassten Therapien von Mann und Frau forscht, und Johann Kollegger, der an der TUWien umweltfreundliche Tragkonstruktionen entwickelt (u.a. eine „Klappbrücke“, die sich wie ein Regenschirm aufspannt).
Die Sponsoren des Preises, die Geschäftsführer der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG, betonten, dass der Stellenwert für Forschung nie hoch genug sein kann. „Forschung und Entwicklung, neue Produkte und Innovationen füllen die Auftragsbücher: Am besten sind jene österreichischen Unternehmen durch die Krise gekommen, die auch in diesen Zeiten in F&E investierte haben“, sagte Henrietta Egerth. Gemeinsam mit Klaus Pseiner rief sie den Zusehern in Erinnerung, wo überall österreichische Forschung drinsteckt: z.B. im Formel-1-Auto von Sebastian Vettel und im Navigationssatellitensystem Galileo, das letzte Woche ins All geschossen wurde.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2011)