Viennale: Sloterdijk, Weibel und der Bundespräsident

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René Frölke über sein großartiges Filmdokument „Führung“. Die traurige Wiederkehr einer zeitlosen Geschichte wie sich die Kunst im Angesicht der Macht zu legitimieren sucht.

Hatte Regisseur René Frölke vorher geahnt, dass sein Dokumentarfilm Führung so lustig wird? „Nein“, antwortet der 33-jährige deutsche Filmemacher: „Ich finde ihn auch gar nicht so lustig.“ Tatsächlich ist Frölke mit seinem nur 37-minütigen Film ein großes, oft hochkomisches Zeitbild gelungen – zugleich ist es die traurige Wiederkehr einer zeitlosen Geschichte: wie sich die Kunst im Angesicht der Macht zu legitimieren sucht.

Frölke, selbst Student an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Karlsruhe, hat dort einen Staatsbesuch gefilmt. 2008 kam Bundespräsident Horst Köhler mit großem Sicherheitsapparat, seine Führung durch die Kunsthochschule übernahmen zwei omnipräsente Theoretiker der deutschsprachigen Mediengesellschaft: HfG-Rektor Peter Sloterdijk und Peter Weibel vom benachbarten Zentrum für Kunst und Medien wirken mit servilem Lächeln und Schlagwort-Redeschwall wie intellektuelle Hofnarren des Präsidenten. Der damalige Höhepunkt der internationalen Finanzkrise liefert das zeitgeistige Vokabular für den Diskurs zwischen „Politiker und Kreativindustrie“.

Doch das Zeremoniell ist dasselbe wie bei einer höfischen Szene. Es hätte auch der Besuch eines absolutistischen Herrschers bei einem Künstler sein können, merkt Frölke an: „Oder wie das 16-mm-Material von Erich Honeckers Besuch auf der (Leipziger, Anm.)Herbstmesse. Das ist ohne Ton, aber allein schon das Rohmaterial zu sehen, ist toll. Es endet im russischen Pavillon, alle trinken Wodka – und dann geht die Kamera aus. So etwas schwebte mir vor.“ Bei Führung sind die diskreten digitalen Schwarz-Weiß-Bilder aber weniger wichtig als der Ton: „Mir ging es vor allem um den Text“, sagt Frölke, „die Kamera war sozusagen nur der Türöffner. Wären wir nur mit einer Mikrofonangel hinterher, wären wir sofort verdächtig gewesen.“

Zerredete Kunst und kafkaeske Absurdität

So bekam Frölke die Drehgenehmigung für eine Aufzeichnung, die man wohl auf die Homepage der HfG stellen wollte – wozu es nie kam. Führung dokumentiert, wie Sloterdijk und Weibel jeglichen Kunstbegriff zu nichtssagenden Allgemeinplätzen zerreden. Kafkaesker Höhepunkt der sich steigernden Absurdität: Die Demonstration des (einzigen anwesenden) Studenten, der irgendwo tief im Innern des Instituts ewig im Kreis läuft, bis er hinter seiner Installation hervorgeholt wird, um die Erläuterungen seiner Professoren zu bestätigen: Diese Vorzeige-Semesterarbeit sei ein Kommentar zu den realen Grundlagen der virtuellen Geldökonomie. Die Intention hatte er eigentlich nicht, merkt der Student noch vorsichtig an– aber für Debatten ist keine Zeit: Die Führung muss weitergehen. Als Sittengemälde ist Führungeiner der lustigsten Filme des Jahres. Aber gleichzeitig zum Weinen. hub

„Führung“ bei der Viennale: 28.10., 11h, Künstlerhaus und 29.10., 18h, Stadtkino

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2011)

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