„Dieses Karaoke der Verärgerten reicht nicht“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Bürger dürften nicht nur jammern, sondern müssten die Politik von innen ändern, sagen die Spitzen der neuen Wahlrechtsinitiativen. Der Druck auf das Parteiensystem muss steigen.

Die Presse: Sie vier sind im Durchschnitt fast genau 60. Ein Alter, in dem man in Österreich sonst schon gern an die Pension denkt. Warum tun Sie sich Ihre jeweilige Demokratiebewegung an?

Anneliese Rohrer: Also ich verstehe die Liebe zur Pension nicht. Das Alter ist für mich kein Thema.

Wolfgang Radlegger: Mir ist der Zug in die Pension auch fremd. Und Stéphane Hessel, der unsere Bewegung inspiriert, ist 94. Der würde uns wahrscheinlich als jugendliche Mannschaft betrachten.

Herwig Hösele: Für ein Engagement wie das unsrige ist es möglicherweise auch sinnvoll und hilfreich, eine gewisse Erfahrung zu haben, und zwar auch im politischen System. Insofern hilft das Alter.

Christoph Bösch: Ich habe schon in jungen Jahren, in den Neunzigerjahren, mit der Wirtschaftspartei begonnen, mich für eine Demokratiereform einzusetzen. Ich hoffe, dass jetzt endlich etwas passiert.

Wäre Demokratie nicht eher eine Angelegenheit der Jungen?

Radlegger: Ja, die wollen wir ja auch gewinnen, und dafür müssen wir ihnen klarmachen, dass wir sie nicht nur als Staffage wollen. Sondern als aktive Beteiligte.

Rohrer: Das Entscheidende ist aber nicht, ob die Jungen mittun. Sondern wie die etablierten Parteien auf den Zustand der Unzufriedenheit reagieren. Und wenn ich jetzt höre, dass die ÖVP unter Klubobmann Kopf beschlossen hat, weder die Mehrheitswahlrechts-Initiative noch „Mein Österreich“ irgendwie wahrzunehmen, sondern sie nicht einmal zu ignorieren, und zwar auf der Basis dessen, dass Demokratie einer Umfrage zufolge nur zehn Prozent der Österreicher interessiert, dann ist das entscheidend. Und es ist empörend, bitte schön!

Was sagt der frühere ÖVP-Politiker Hösele dazu?

Hösele: Für mich ist erst einmal entscheidend, ob der Funke von einer Unzufriedenheit hin zu einer Aktivierung springt. Denn heute ist es zwar schon auf jeder Cocktailparty Thema: Ja, wunderbar, ihr müsst etwas unternehmen, die Politik ist auch ganz furchtbar und muss geändert werden! In Wahrheit ist es dann aber schon schwierig, die Leute zu einem Mausklick zu bewegen, mit dem sie uns online unterstützen. Und trotzdem muss es gelingen, sie sogar für ein Volksbegehren wie jenes von „Mein Österreich“ zu gewinnen. Die Resignationsbürger sind da keine gute Zukunftsvision. Auch nicht die Wutbürger. Wir brauchen Aktivbürger.

Radlegger: Bei den Politikern dominiert eben noch eine autistische Binnenmentalität mit Wagenburg-Charakter. Vor allem in den beiden einstmals großen Parteien ist das so. Es scheint so, als würde man die Aggression gegen das herrschende System gar nicht wahrnehmen. Dabei wächst sie, vor allem bei den Jungen. Die verspüren gar keine Politikverdrossenheit. Sondern es ist eine Systemverdrossenheit.

Die Sie, Herr Radlegger, und Sie, Herr Hösele, mitzuverantworten haben als lange aktive Politiker. Da sitzen Sie doch jetzt in der Glaubwürdigkeitsfalle.

Hösele: Nein, ich sehe da keine Glaubwürdigkeitsfalle. Ich habe ja auch schon 2003 mit Andreas Khol den „Österreich-Konvent“ für eine Verfassungsreform gegründet. Damals habe ich noch geglaubt, dass sich auf dem institutionellen Weg etwas verbessern lässt in diesem Land. Heute glaube ich, dass es nur geht, wenn seitens des Bürgers Druck entsteht, und zwar möglichst gemeinsam mit den Medien.
Radlegger: Erstens hindert mich nichts daran, auch aus eigenen Fehlern zu lernen. Aber ich habe mich auch schon als aktiver Politiker vor mehr als zwanzig Jahren sehr kritisch mit meiner Partei auseinandergesetzt. Heute könnte tatsächlich eine Koalition mit den Medien, vor allem auch mit den Qualitätsmedien, helfen: Warum sollten sie nicht eine überparteiliche Plattform wie unsere unterstützen, damit der Reformstau in diesem Land endlich ein Ende findet?

Bösch: Damit der Druck auf das System und vor allem auf die etablierten Parteien steigt, sollte man aber alle größeren Reformbewegungen einen, und zwar möglichst ideologiefrei unter der Prämisse einer Demokratie-, Föderalismus- und Verwaltungsreform. Das sollte dann sogar bis zu einer gemeinsamen Liste bei der nächsten Wahl führen. Nur so können wir die Etablierten zum Umdenken bringen. Und dazu doch noch eine Personalisierung des Wahlrechts und damit mehr direkte Demokratie herbeiführen. Das werden sie aber nur tun, wenn sie fürchten, selbst Macht und Geld zu verlieren. Und dafür braucht es zumindest die Möglichkeit einer neuen Liste, die aus Kandidaten von Bewegungen wie den unsrigen bestehen könnte.

Eine gemeinsame Plattform aller größeren Bewegungen und eine gemeinsame Liste 2013: Was halten Sie, die anderen Diskutanten, davon?

Radlegger: Ich glaube, dass uns der Fusionsgedanke nicht nach vorn bringt. Je mehr Bewegungen, desto bunter und vielfältiger ist es doch. Wir von „Mein Österreich“ machen jetzt einmal das Angebot eines Demokratie-Begehrens, mit dem die Zivilgesellschaft den Mächtigen so richtig zeigen kann, dass sie sich nicht mehr alles gefallen lässt und Veränderungen will. Die zwei Regierungsparteien benehmen sich ja leider immer noch wie bei einem Steher-Rennen: Sie beäugen einander kritisch, und wichtig ist nur, dass man einen Zentimeter vor dem anderen durchs Ziel kommt.

Bösch: Während die Protestparteien zulegen. Und auf der anderen Seite immer weniger Leute wählen gehen.

Hösele: Ich hoffe ja immer noch auf einen Erkenntnisprozess bei den beiden staatstragenden Parteien, der ÖVP und der SPÖ. Die werden doch bitte nicht mutwillig an einer Situation festhalten, in der sich am Ende der Dritte, also die FPÖ, freut, weil er plötzlich der Erste ist. Irgendwann werden uns die Regierungsparteien schon noch zuhören. Wenn der Druck aus dem Volk groß genug ist.

Warum, glauben Sie, ignorieren die Parteien Sie bisher? Und welche Antwort fordern Sie ein?

Radlegger: Zurzeit herrscht eben die Mentalität: Was kratzt es die Eiche der Regierungsparteien, wenn sich die alt gewordenen Säue an ihr reiben? Aber das werden wir ihnen schon noch beweisen, dass es so nicht weitergehen kann.

Rohrer: Von einer eigenen Kandidatur bei einer Wahl halte ich aber nichts. Das wäre Blödsinn. Außerdem: Warum sollte man die Leute nicht auffordern, sich in den bestehenden Parteien zu engagieren? Das wird zurzeit zwar als unanständig gesehen, ist aber per se nicht unanständig. Die Bürger sollten sich in den Parteien engagieren, um von innen die Richtung zu ändern. Dieses Karaoke der Verärgerten, die sich nur wiederholen und von außen aufregen, reicht wirklich nicht.

Kommt nun das Demokratie-Volksbegehren von „Mein Österreich“ oder nicht, Herr Radlegger? In der Vorwoche war das ja wieder unsicher, obwohl sie ursprünglich gesagt haben: Ab 8000 Unterstützern machen wir es.

Radlegger: Aktuell haben wir sogar 14.000 Unterstützer. Aber sich online reinzuklicken ist das eine, ein Volksbegehren dann wirklich zu unterschreiben, das andere. Wir müssen nun genau prüfen, wie groß die Zustimmung tatsächlich ist. Unter anderem bei Diskussionen mit verschiedenen Gruppen, wie zum Beispiel Studenten. Anfang November wollen wir uns dann festlegen.

Angeblich gibt es einen Textentwurf zum Volksbegehren, wonach Bürger künftig zwei Stimmen abgeben sollen: eine für den bevorzugten Kandidaten im Wahlkreis, er soll ein Direktmandat bekommen. Und eine Stimme soll es für die bevorzugte Liste einer Parteien geben. Basis für die Bestellung aller Abgeordneten soll weiter ein Verhältniswahlrecht und nicht ein Mehrheitswahlrecht sein. Stimmt das?

Radlegger: Legen Sie uns da bitte noch nicht auf irgendetwas fest. Es geht aber jedenfalls um eine Personalisierung des Wahlrechts. Der Abgeordnete soll sich in seinem Wahlkreis nicht länger herausreden können, sondern wirklich verantwortlich sein.

Hösele: Ich möchte, dass der Bürger endlich seinen Abgeordneten, das bisher unbekannte Wesen, kennenlernt und ihn direkt wählen kann. Dann kann der Abgeordnete auch mutiger gegenüber der Parteiführung auftreten. Weil er künftig dem Wähler, nicht dem Funktionär rechenschaftspflichtig ist. Das ist offenbar auch die Intention von „Mein Österreich“. Deshalb werde ich das Volksbegehren unterschreiben. Details kümmern mich nicht.

Wie viele Stimmen müsste das Volksbegehren bringen, damit Sie es als Erfolg werten?

Radlegger: 100.000 auf jeden Fall. Aber erst mit mehr als 400.000 wäre es ein wirklicher Erfolg.

Wie stehen Sie zum Wort Muppet?

Radlegger: Damit kann ich eigentlich nichts anfangen. Weil ich die Serie nie gesehen habe.

Hösele: Ich auch nicht. Aber Muppets sind wohl solche, die zu irgendwelchen Themen irgendwelche sinnlosen Stellungnahmen abgeben. Bei uns melden sich ja erfahrene Menschen, die es gut meinen mit der Demokratie.

Rohrer: Ich finde es schade, dass Politiker die Show nie gesehen haben. Die sind sehr witzig, die Muppets. Und etwas Humor täte auch in unseren Diskussionen sehr gut.

Zu den Personen

Anneliese Rohrer, 67, arbeitete von 1974 bis 2005 als Journalistin und Ressortleiterin für Innen- und Außenpolitik bei der „Presse“. Seit 2009 ist sie „Presse“-Kolumnistin und -Bloggerin. Seit Mai 2011 hält sie den „Mutbürger“- (ursprünglich: „Wutbürger“-)Stammtisch ab: diepresse.com/home/blogs/rohrer

Wolfgang Radlegger, 64, ist Wüstenrot-Geschäftsführer und Salzburger Ex-Landeshauptmann-Vize der SPÖ. Mit vielen weiteren Altpolitikern startete er die Initiative „Mein Österreich“ für ein Demokratie-Volksbegehren: www.meinoe.at

Herwig Hösele, 58, war Berater der steirischen Landeshauptleute Krainer und Klasnic. Seit 2008 ist der ÖVPler Sekretär der „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“: www.mehrheitswahl.at

Christoph Bösch, 49, hat Wirtschaft studiert und ist Publizist in Wien. Seit einem Jahr betreibt er mit dem Angestellten Gerhard Marold www.willwaehlen.at („Initiative zur Verbesserung der Demokratie“).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2011)

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