Demografie: Der siebenmilliardste Mensch

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Bis zum Jahr 2050 steigt die Weltbevölkerung, danach stabilisiert sich ihre Zahl auf neun oder zehn Milliarden. Europa, Russland und Japan schrumpfen, Asien und Afrika wachsen weiter.

Am 31.Oktober 2011 wird der siebenmilliardste Mensch das Licht der Welt erblicken. Wann und wo, weiß natürlich in Wirklichkeit niemand so genau. Wer kann schon nachzählen? Aber da die Vereinten Nationen das Thema „Weltbevölkerung“ nun einmal auf die Agenda gesetzt haben, werden aus abstrakten Babys konkrete. Vor 24 Jahren, am 11.Juli 1987, erklärte die UNO den Kroaten Matej Gaspar zum fünfmilliardsten Bewohner des Planeten. Nur zwölf Jahre später, am 12.Oktober 1999, wurde dem bosnischen Baby Adnan Nevic die Ehre zuteil, der sechsmilliardste Mensch zu sein. Und jetzt also steht die Ehrenformation für den Erdenbürger Nummer 7.000.000.000 bereit.

Wie viel Menschen verträgt die Erde?

2050 werden zwischen neun und zehn Milliarden Menschen auf dem Planeten leben, zumindest das Wachstum sollte sich bis dahin stabilisiert haben. Doch hält Planet Erde so viele Menschen aus? Darauf geben tonangebende Demografen wie Wolfgang Lutz, Leiter des 2010 gegründeten „Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital“ in Laxenburg, erstaunlich optimistische Antworten: „In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wird die Bevölkerung vermutlich nicht weiter anwachsen, sondern sich in einem Bereich zwischen acht und zehn Milliarden einpendeln – danach sollte die Zahl sogar leicht sinken“, sagt der Experte.

Den Trend zu weniger Kindern gibt es schon jetzt, und zwar weltweit. Während in den Jahren 1970 bis 1975 eine Frau im globalen Durchschnitt 4,7 Kinder zur Welt gebracht hat, sind es heute nur mehr 2,6. Ob gegen 2050 eine Milliarde mehr oder weniger Menschen die Welt bevölkern, hängt, so Lutz in einer im Juli im renommierten Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlichten Studie, entscheidend von einem Faktor ab: Bildung. Statistik kann so schön sein: Der „Deutschen Stiftung für Weltbevölkerung“ zufolge bekommt eine Frau mit jedem Jahr Bildung mehr im Schnitt 0,2 Kinder weniger. In Malawi bringt eine Frau mit Schulbildung vier, eine Frau ohne sieben Kinder zur Welt. Und die mustergültige Trendumkehr in Richtung kontrolliertes Bevölkerungswachstum im indischen Bundesstaat Kerala ist der Tatsache geschuldet, dass 90 Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben können. Die Kombination von gelungener Geburtenkontrolle und Wirtschaftswachstum führt in Schwellenländern meist zu einem raschen Modernisierungsschub – Beispiele dafür sind etwa Brasilien, Iran, Indonesien, die Türkei und Singapur. Ökonomen nennen das die „demografische Dividende“.

Trend zu Megacitys

Doch es gibt auch das Gegenteil davon: unregulierte Bevölkerungsexplosion, bei der das Wirtschaftswachstum nicht Schritt hält. In Ländern wie Somalia, Uganda oder Afghanistan werden im Schnitt sechs oder mehr Kinder pro Frau geboren. Das bedeutet, dass immer mehr Tortenstücke aus dem volkswirtschaftlichen Kuchen herausgeschnitten werden – doch der Kuchen wird insgesamt nicht schnell genug größer. Und es sind die ärmsten Länder, die am meisten unter der ungleichen Verteilung von Ressourcen zu leiden haben. Auch wenn die großen Katastrophenszenarien – von der Migrationswelle der hungernden Massen über Klimaflüchtlinge bis zum Weltkrieg um Wasser und Ressourcen – mit Vorsicht zu behandeln sind: In einzelnen Regionen wird es zum Kollaps kommen. „Es ist wahrscheinlich“, sagt Demograf Lutz, „dass die Ärmsten auch in Zukunft still und leise vor Ort sterben. Migranten gehören der sozialen Mittelschicht an. Man braucht Geld, um auswandern zu können.“ Der Unterschicht bleibt höchstens die Flucht innerhalb ihres Landes, vom Land in die Stadt. Die rasende Urbanisierung wird eine der größten Herausforderungen dieses Jahrhunderts darstellen, vor allem in Megacitys wie Lagos oder Bombay.

Welternte reicht für zehn Milliarden Vegetarier

Die Vorhersage von Robert Malthus aus dem Jahr 1798, die Weltbevölkerung werde zwangsläufig schneller wachsen als die Nahrungsmittelproduktion, hat sich bisher nicht bewahrheitet. Die landwirtschaftliche Produktivität konnte nämlich bisher im globalen Maßstab durchaus Schritt halten. Es gäbe genug zu essen auf der Welt, doch die Nahrungsmittel und das Know-how sind ungleich verteilt. Statistiken der Welthungerhilfe zufolge sind heute weltweit über 925 Millionen Menschen unterernährt. 8,8 Millionen sterben jährlich an Hunger, das entspricht einem Todesfall alle drei Sekunden.

Lester Brown vom Earth Policy Institute hat errechnet, dass schon heute die Welternte für zehn Milliarden Menschen reichen würde – allerdings nur, würden alle Erdenbürger auf vegetarische Kost umsteigen. Bei einer Diät von Hamburgern, Steaks und Eiern würden laut Brown nur 2,5 Milliarden Menschen satt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2011)

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