Digitale Medien: Der Film in neuer Rolle

Film neuer Rolle
Film neuer Rolle(c) AP
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Filmemacher, Werber und Journalisten versuchen gerade zu entdecken, wie sich ein riesiges Terrain mit neuen Formaten erobern und bespielen lässt.

Hochauflösende Smartphone-Kameras statt des teuren und professionellen Film-Equipments, YouTube-Videos statt Kinoprojektionen und TV-Beiträge, Twitter und Facebook statt Filmplakate und Rezensionen. Die Demokratisierung im Netz und die technischen Innovationen auf dem Markt der mobilen Endgeräte machen es möglich, dass sich die Genres der bewegten Bilder radikal verändern. Selbst greift man zum Smartphone, filmt, was gefällt, und Minuten später landet das Video dann schon auf einschlägigen Plattformen. Aus dem klassischen Sender-Empfänger-Prinzip wurden „Prod-User“ (eine Mischung aus Produzenten und User). Mittlerweile wird der Content für Film und Video schon „cross- und transmedial“ hergestellt, verbreitet und beworben, wie Filmemacherin Martina Theininger meint. Und diese Änderungen betreffen alle Branchen. Ob den künstlerischen Film, das Feld der Werbespots oder die journalistischen Bilder, die man früher eben nur aus dem Fernseher kannte.

„Relativ neu ist, dass auch Filmemacher die neuen Möglichkeiten im Web 2.0 sehen, damit experimentieren und sie zu nutzen wissen“, erklärt Theininger. Sie ist Regisseurin, organisiert das „Frame out“-Festival und hat das Pilotprojekt „Neue Filmformate“, das vom Unterrichtsministerium gefördert wird, mitinitiiert. Insgesamt 65 Filmprojekte wurden dabei eingereicht, ein starker Andrang: „Zuerst wollte man nur drei Projekte fördern, aber sie waren alle von so guter Qualität und so spannend und interessant, dass dann sogar fünf Projekte gefördert wurden“, erzählt Theininger im Gespräch mit „DiePresse.com/Sonntag“.

Vor allem im Genre der Dokumentation wirken sich die neuen Partizipationsmöglichkeiten massiv aus. So ist etwa aus dem Trend „Crowdsourcing“ ein völlig neues Filmformat entstanden (siehe auch Artikel rechts unten), wie auch die experimentelle Dokumentation „Life in a Day“ des englischen Regisseurs Ridley Scott beweist. Über YouTube wurden dabei die User aufgefordert, dreiminütige Videoepisoden aus ihrem Leben hochzuladen. Daraus wurde ein Film, der in diesem Jahr bei der Biennale in Venedig gezeigt wurde. Ein verblüffendes Patchwork des Lebens: „Egal, ob ein Belgier, der täglich seine krebskranke Frau im Krankenhaus besucht, oder ein sechsjähriges Mädchen, das in den USA Geburtstag feiert. Tausende Menschen beteiligten sich mit ihren Inhalten an dem Projekt“, erzählt Theininger.


Hybride Berufsformen. Neben neuen Genres und Formaten entwickeln sich auch immer neue Berufsbilder in der Filmproduktion. Aus Webgrafikern, Social-Media-Experten bis hin zu Urheberrechtsanwälten bilden sich mittlerweile hybride Teams. Selbst der nationale Fachverband der „Producers Guilde of America“ (PGA) hat eine neue Berufsgruppe der „Transmedialen Producer“ ausgerufen und als Credit neben Kamera, Ton und Schnitt anerkannt. „Ein wirklicher Durchbruch. Man sieht, wie sich die Entwicklungen jetzt etablieren. Wahrlich eine spannende Zeit für Kreative“, fasst Theininger zusammen. In diesen hybriden Teams entsteht natürlich auch eine hybride Ästhetik. „Crowdgesourcte Inhalte werden mit iPhones oder Webkameras gefilmt. Das allein sieht anders aus als mit einer Kamera. Hinzu kommen Motion-Comic-Elemente und 3-D-Animationen“, erklärt die Regisseurin.

Zielgruppenspezifisches Design. Die neue Ästhetik der bewegten Bilder hat auch die Werbewirtschaft für ihre Zwecke entdeckt. Viele Werbespots im Web arbeiten mit dem Stil selbst gedrehter Videos, schließlich wollen sie die kommerziell wertvolle Zielgruppe der 13- bis 19-Jährigen mit ihren eigenen Mitteln erreichen. „Einen Teenager um halb acht Uhr bei der ZiB 1 abholen zu wollen, das wäre wenig sinnvoll. Die Jugendlichen leben ja schon beinahe im Netz“, erklärt Nicolas Frey, Creative Director bei der Agentur Draft FCB. Ein weiteres Kennzeichen der neuen Generation von Werbespots ist die Interaktivität, die Möglichkeit für die jugendliche Zielgruppe, in die Kommunikation einzugreifen. „Wir produzieren auch Filme und hängen anschließend noch ein Spiel auf Facebook dazu, damit man die Teenager richtig in die Markenwelt holen kann“, so Frey. Doch die Konsumenten können nicht nur dann eingreifen, wenn der Spot vorbei ist. Sondern auch schon, während er noch läuft. Mit ihren Klicks können sie entscheiden, wie der Spot weiter- und ausgeht, große internationale Marken versuchen, schon auf diese Weise die Zielgruppen zu involvieren.


Mitmachwerbung. Der User entscheidet, wo und wie stark er sich beteiligt. Hauptsache nur, dass er so oft wie möglich dazu aufgerufen und animiert wird. Wie etwa auch vom Wiener Traditionsunternehmen Manner, das kürzlich ein Konzept von Demner, Merlicek & Bergmann umsetzte. Das Unternehmen rief dazu auf, das längste Lied der Welt zu produzieren. Und 3000 User ließen sich nicht lange bitten und luden ihre Videos auf www.mannersong.com. Zusammen ergab das ein Lied von 16 Stunden Länge.

Für den Kunden ÖBB produzierte die Agentur Draft FCB einen „viralen“ Spot, also ausschließlich für das Internet. Ein Schritt, der noch kein üblicher ist im österreichischen Werbemarkt, denn der Kostendruck verhindert häufig, was die Onlinetrends im Grunde fordern würden. „Man stößt oft an die monetären Grenzen“, weiß Francesco Bestagno, Creative Director bei Demner, Merlicek und Bergmann. Außerdem sei es auch schwierig, ohne die „klassischen“ Kanäle auf den Spot im Web aufmerksam zu machen. Für den Kunden Vöslauer produzierte die Agentur einen Kurzfilm fürs Internet, der im konventionellen Kommunikationskanal „TV“ angekündigt wurde. Um die Markenbotschaften „viral“ im Netz zu verbreiten, brauche es zum Teil kontroversiellen Content: „,Virals‘ laufen inhaltlich oftmals unter der Gürtellinie ab“, meint Florian Matthies, Creative Director von Home Digital, einer Agentur, die sich auf Onlinewerbung spezialisiert hat. Schließlich muss der Spot etwas bieten, damit er es wert ist, ihn tatsächlich an seinen Freundeskreis weiterzuschicken.“


Weniger Text, mehr Bild. Glaubt man internationalen Studien, hat sich das Rezeptionsverhalten der Internet-User generell stark verändert und Filme, Spots und Videos sind bereits selbstverständlicher Teil beim Konsumieren von Online-Inhalten. Gerade Österreich sei prädestiniert, eine Vorreiterrolle bei bewegten Bildern im Netz einzunehmen, meint Matthies: „Wir haben ein großartig ausgebautes UMTS-Netz, und noch dazu sind die Kosten für Internetsurfen im internationalen Vergleich sehr gering.“

„Videoinhalte werden in jedem Fall von den Nutzern im Netz immer stärker nachgefragt. Schon in den 1960er-Jahren hat Marshall McLuhan auf die starke Eigendynamik verschiedener Medien hingewiesen. Im globalen Dorf ist jedenfalls die Tendenz zu erkennen, dass User immer weniger bereit sind, lange Texte zu durchforsten“, weiß auch Rosa von Suess, Leiterin des Ausbildungsfernsehens C-TV an der Fachhochschule St. Pölten. Das bedeutet natürlich auch: Das Feld des Videojournalismus muss sich professionalisieren, weil es plötzlich ganz neue, vielfältigere Möglichkeiten gibt, auf die Redaktionen in den großen Medienhäusern des Landes nicht mehr verzichten wollen. Und denen sie auf ihren Online-Portalen mehr Platz und Gewicht einräumen.

Auch die TV-Sender erweitern ihren Content durch eigene Onlineredaktionen, die manche Sendungen mit Zusatzmaterialien ergänzen oder mit eigenen Webformaten erweitern. Bei Medien, die ursprünglich nur starre Bilder produzierten, wie Zeitungen und Magazinen etwa, setzen sich Onlinevideos erst allmählich durch. Aber: „Nur Text reicht nicht mehr. Videos erhalten immer mehr Stellenwert. Auch Audioslideshows wie bei „Guardian“, „New York Times“ oder der Online- „Zeit“ sind möglich. Hauptsache, es bewegt sich etwas“, sagt Elisabeth Wasserbauer, Geschäftsführerin der Österreichischen Medienakademie. Wie sich allerdings aus den neuen Formaten für bewegte Bilder im Web Gewinne lukrieren lassen, das versuchen manche Verlagshäuser erst herauszufinden. Was sie wissen, ist, dass sie darauf nicht mehr verzichten wollen und können. Die Werbebranche misst Erfolge schneller: Der Mitmachsong von Manner generierte stolze 600.000 Klicks. Und auch ein anderer Effekt gefiel den Auftraggebern gut: Die Umsätze in Deutschland und Tschechien stiegen deutlich.

koproduktionen

Crowdsourcing
Was eigentlich als „Auslagerung“ von Arbeitsschritten definiert wird, ist mittlerweile eine Bezeichnung der Einbindung der User in die Gestaltung und Produktion von Webprojekten. Mit der gemeinschaftlichen Einbringung werden Ideen verwirklicht, die ohne das Zutun der kollektiven Masse nicht realisierbar wären.

Crowdfunding
Basierend auf dem gleichen Prinzip wie Crowdsourcing,werden kollektive Spenden zur Projektumsetzung gesammelt. Internetseiten wie www.mysherpas.com bieten die nötige Plattform für Kapitalsuchende an.

Bilder- Rezeption

Wochentag
Am Mittwoch werden einer Studie von „Brightcove & Tubemogul“ nach die meisten Videoinhalte im Netz konsumiert.

Wochenende
Samstag und Sonntag konsumieren die User am längsten und intensivsten die Videos, Filme und Spots im Internet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2011)

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