Mit Tablets und Streaming-Diensten soll sich das Fernsehverhalten radikal ändern. Die USA setzen auch inhaltlich mit "Quality Television" neue Standards. Nationale Grenzen bremsen den Trend.
Fire nennt Amazon seinen neuen Tablet-Computer Kindle. Das ist eine Kampfansage, nicht nur gegen Apples Dominanz auf dem Tablet-Markt, man will auch den Bedarf an „Schreibtafel“-Computern ordentlich anfachen. 199 Dollar kostet der „Kindle Fire“ in den USA, er kommt am 15.November, rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft, auf den Markt. Der Österreich-Start ist ungewiss. Was das mit Fernsehen zu tun hat? Alles.
Amazon bewirbt den „Kindle Fire“ nicht zufällig mit einem Hinweis auf „Mad Men“, jene Fernsehserie, die in den Staaten jährlich bei den Emmys und sonstigen TV-Preisen abräumt. Fernsehen und Filme sollen auch im Internet endlich groß Geld bringen. Amazon lockt künftige Kunden mit unbegrenztem und schnellem Zugang zu mehr als 10.000 populären Filmen und TV-Serien. Auf diesem Weg will sich der Online-Buchhändler auch die Produktionskosten hereinholen, denn die Herstellungskosten des „Kindle Fire“ sollen über dem Verkaufspreis liegen.
Die Erzrivalen Apple und Microsoft haben ebenfalls On-Demand-Dienste gestartet, auch in Österreich. Das Angebot ist einstweilen noch überschaubar. Am TV-Werbekuchen mitnaschen will auch das weltgrößte Videoportal YouTube mit eigens produzierten Kanälen. Hauptkonkurrent auf dem US-Markt ist die Internetvideothek Netflix mit 23,8 Millionen Abonnenten, die DVDs per Post sowie als Stream verleiht. Sie schwächelt: Im dritten Quartal 2011 verlor das Unternehmen 800.000 Anhänger durch Preiserhöhungen, die Aktien sind auf Talfahrt.
Tablets und Streaming-Dienste machen den TV-Konsum ort- und zeitunabhängig, das wird auch das Fernsehverhalten ändern. Kollektives Erleben bleibt nach wie vor erstaunlich wichtig, das lässt sich etwa am Kurznachrichtendienst „Twitter“ ablesen: Rund um die Ausstrahlung der neuen Staffel der Vampirserie „True Blood“ in den USA erschienen tausende Kommentare zur jeweils neuesten Folge. Wer mitreden will, muss mitschauen. „True Blood“-Produktionssender HBO hat inzwischen einen eigenen Dienst gelauncht: HBOGo ist allerdings nur für Abonnenten zugänglich. In Österreich gibt es den Sender nicht.
Das zeigt deutlich, wo das größte Hindernis für die Dienste liegt – in den nationalen Grenzen. Ein breites Medienangebot international zu lizenzieren ist eine Herkulesaufgabe. Dabei erleben TV-Serien gerade jetzt einen Boom, Kritiker sprechen gar von einer „Quality Television“-Welle. Hierzulande muss man auf Kauf-DVDs zurückgreifen, wenn man die Formate nicht spätnachts in deutscher Synchronisation oder im Pay-TV sehen will.
Für lange Herbstabende hat „DiePresse.com/Sonntag“ vier Empfehlungen zusammengestellt.
„Mad Men“: Man raucht, trinkt, geht fremd und vermeidet tunlichst, über Gefühle zu reden. Die Serie, angesiedelt in der Werbebranche der frühen Sechziger, lebt von unterschwelliger Spannung und Detailtreue.
„The Wire“: Das Grundgerüst der vom ehemaligen Polizeireporter David Simon geschriebenen und koproduzierten Serie: In Baltimore stehen sich Polizei und Drogendealer gegenüber, zwischen ihnen spannt sich das weite Panorama der heutigen Gesellschaft auf. Die „F.A.Z.“ nennt „The Wire“ einen „Balzac für unsere Zeit“. Treffend.
„True Blood“: Vampire haben sich geoutet, in der schwülen Atmosphäre von Louisiana scheint eine gedankenlesende Kellnerin die Blutsauger magisch anzuziehen. Die seifenopernhafte und immens erfolgreiche Serie voll Blut, Sex und Übernatürlichem spielt mit Pop und Ironie. Trash? Ja, der beste.
„Breaking Bad“: Ein krebskranker Chemielehrer stellt Drogen her, im Angesicht des Todes zerbröckeln Moralvorstellungen und bürgerliche Fassaden. Fast unerträglich spannend.
Fernsehen im Internet
In den USA haben sich Streaming-Dienste bereits zum Teil durchgesetzt. Der größte Anbieter ist Netflix. Amazon will der Konkurrenz mit dem „Kindle Fire“ das Wasser abgraben.
In Österreich zugänglich sind unter anderem die On-Demand-Dienste von Apple (via iTunes) und Microsoft (Zune Video). Die Auswahl an Filmen und Serien ist jedoch stark begrenzt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2011)