Markus Redl: Keine Musen und Modelle

Wasser und Tee statt Wodka trinkt der junge Bildhauer Markus Redl. Geniekult nervt ihn. Sein wichtigster Sammler ist ein deutscher "Schraubenmilliardär".

Einsam klopft ein junger Mann auf einen Stein, hinter ihm huscht eine Ratte über den tristen Hinterhof und gleich gegenüber zieht sich die lange Mauer des Wiener Zentralfriedhofs. Ein Bildhauerschicksal. Genau solche Klischees hasst der junge Steinbildhauer Markus Redl. Und doch sind sie manchmal wahr. Seit mehreren Jahren schon werkt er hier, in einem der Bildhauerateliers der Stadt Wien. Im Sommer ist es unerträglich heiß, im Winter saukalt. Die Ratten gibt es wirklich. Was es aber nicht gibt, sind die übrigen Requisiten, die man, Alfred Hrdlicka eingedenk, in Österreich (und anderswo) mit einem Steinbildhauer assoziiert: Wodkaflaschen etwa. „Bei mir gibt es nur Wasser oder Tee“, sagt Redl am Beginn des Besuchs. Eine Signatur sucht man ebenfalls vergeblich auf seinen Steinen. „Mir geht das auf die Nerven, dieser Geniekult, der gerade mit dem Marmor verbunden ist. Ich finde das nur doof.“ Und auch trotz mehrmaliger lockender Rufe durch das Atelier wollen einfach keine nackten drallen Modelle und Musen erscheinen.

Die wären im Falle Redls ästhetisch auch nicht sonderlich reizvoll, blickt man auf sein bisher größtes und jüngstes Werk, einen monumentalen, übermannshohen Marmorkubus im Hof: „Obdach“ steht klein und schüchtern links oben auf dem edlen weißen Stein, in etwas ungelenker roter Schreibschrift. Daneben öffnet sich der Block zu einem Tor – man darf eintreten. Und dem hier lässig sitzenden, bisher Obdachlosen Gesellschaft leisten auf seiner harten Marmorbank. Auch die hübsche Decke, die Redl aus dem Stein gehauen und poliert hat, macht das Lager nicht bequemer. Luxuriös ist sie allemal.

Die Oma in Marmor gemeißelt. Das Material ist teuer, die Bearbeitung geht langsam, tausende Arbeitsstunden stecken in der über 20 Tonnen schweren Skulptur. „Mich hat diese Umkehr interessiert“, erzählt der 1977 geborene Klosterneuburger, während er einem in seinem seltsamen Sozial-Iglu gegenübersitzt. „Ich habe Figuren dargestellt in Marmor, die traditionell nie in Marmor dargestellt würden, weil sie dafür nicht ,würdig‘ genug sind. Meine Oma zum Beispiel. Oder einen Behinderten, dem ein Bein fehlt. In ,Obdach‘ ist diese Idee verdichtet, das nicht Darstellungswürdige in diesem hehren Material darzustellen.“

Der Antike Kontra geben. Was aber bitte nicht als moralische Anklage an die Kunstgeschichte zu verstehen sei. Sondern als zynischer Kommentar, „der weh tun soll“: „Erstens ist es ein Obdach, da sitzt ein Penner drin. Zweitens ist es aus Marmor, hart, kalt und absolut ungeeignet dafür.“ Die Idee zu diesem architektonischen Raum hegt er bereits seit zehn Jahren, so alt sind die ersten Skizzen dafür: „Ich habe es als Cella eines griechischen Tempels angelegt, die tabu war für alle außer für Priester. ,Obdach‘ ist eine aufgeschnittene, für alle zugängliche gemachte Cella, mit einem Gott darin, den im Alltag niemand sehen will, den Obdachlosen.“ Mit der antiken Skulptur verbindet Redl auch noch etwas anderes, das ihn von den meisten Bildhauern heute unterscheidet: Er fasst seine Figuren farbig ein. Am Anfang tat er das mit Schuhcreme, heute experimentiert er mit verschiedenen Methoden. Diese Farbigkeit jedenfalls, und ein etwas verworrenes, weil teils völlig willkürliches System mit Fußnoten, die er an die Titel seiner Skulpturen anhängt, haben ihm überhaupt erst ermöglicht, „in der Sandkiste der zeitgenössischen Kunstszene mitzuspielen, vorher habe ich nicht einmal den Fuß in die Galerien bekommen.“

Heute wird Redl von der Galerie Mauroner vertreten, sein wichtigster Sammler ist der deutsche „Schraubenmilliardär“ Reinhold Würth, der sich auch das „Obdach“ für seinen Salzburger Wohnsitz sicherte. „In Wien gab es niemanden, der mich gefördert hätte. Bis auf Günther Holler-Schuster von der Grazer Neuen Galerie, wo ich 2005 eine Ausstellung hatte.“ Doch dieselben Leute, die ihn auf der Angewandten für das Arbeiten in Marmor kritisierten, ablehnten, für wahnsinnig erklärten, erinnert sich der unprätentiöse junge Mann, riefen ihn heute an, ob er nicht für sie arbeiten wolle. Immerhin lernte er im Zentrum des Handwerks, im Steinbruch von Carrara. „Ich bin einfach hingefahren und wollte lernen. Das passiert denen auch nicht jeden Tag, dass ein junger Typ, kein großes Kaliber, mit einem Lada auftaucht, der jeden Moment zu krepieren scheint, kein Wort Italienisch kann, wild herumfuchtelt und dann das Auto belädt mit Steinen, dass die denken, der kommt nie heim damit.“

Fast daheim in Carrara.
Mittlerweile verbringt Redl seine Sommer schon seit neun Jahren im traditionsreichen Steinbruch. Und beobachtete zuletzt immer mehr Künstlerstars, die dort arbeiten lassen, Maurizio Cattelan etwa oder Jan Fabre. „Es scheint so, als dürfte das Materielle, dürfte die Skulptur wieder leben heute. Dass alles möglich sei, das Postulat der Postmoderne, war ja nur ein Lippenbekenntnis.“ Doch trotz aller ideologischer Widerstände, an denen er immer noch zu kiefeln scheint, kam für Redl recht bald in seiner Ausbildung nur mehr das Arbeiten in Stein infrage: „Ich finde es einfach schön, im Marmorstaub zu stehen. Und ich wollte an etwas arbeiten, wobei ich mich körperlich erfahre: der Stein, das Eisen und ich selbst, das Menschenmaterial.“

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