Bernat: „Gericht könnte wieder anders entscheiden“

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Das Eizellspende-Verbot sei nicht in Stein gemeißelt, sagt der Familienrechtsexperte, Erwin Bernat, der Uni Graz. Je umstrittener ein Thema ist, desto größer ist der Ermessensspielraum.

Die Presse: Was ist für Sie der Hauptgrund, dass der EGMR seine Meinung geändert hat?

Erwin Bernat: Während die Unterinstanz den Schutz gegen Diskriminierung betont hat, betont die Große Kammer nun, dass der einzelne Staat einen Ermessensspielraum hat, Fragen, die moralphilosophischund ethisch umstritten sind, nach eigenem Gutdünken zu beurteilen. Prinzipiell gilt: Je umstrittener ein Thema ist, desto größer ist der Ermessensspielraum.

Wie umstritten etwas ist, wird im Licht der Gegenwart oder der Vergangenheit, als der Fall begann, beurteilt?

Das ist ein interessanter Punkt. Das Gericht sagt ausdrücklich, dass es diesen Fall im Licht des Jahres 1998 beurteilt, als der Fall vor dem Verfassungsgerichtshof seinen Anfang nahm. Das gilt sowohl für die medizinische Entwicklung, als auch den Diskussionsstand in den einzelnen Staaten. Der Gerichtshof stellt den Staaten aber die Rute ins Fenster: Würde ein gegenwärtiger Sachverhalt zur Beurteilung anstehen, könnte das Gericht anders entscheiden. Weil sich die Medizin und die Auffassungen in der Gesellschaft weiterentwickeln.

Das heißt, wenn heute ein Paar zum EGMR ginge, käme der zu einem anderen Ergebnis?

Er lässt es zumindest offen. Ein Paar könnte es wieder beim Verfassungsgerichtshof versuchen, aber wir haben auch gesehen, wie lange der EGMR braucht.

Ist es typisch, dass sich der EGMR an gesellschaftlichem Konsens orientiert?

Bei moralisch umstrittenen Fragen gibt es eine Judikatur, die sagt: Je mehr sich ein Konsens in den Staaten abzeichnet, desto eher ist in diese Richtung zu entscheiden. Die Kritik an dieser Judikatur ist aber auch klar: Das Gericht orientiert sich an faktischen Umständen und sagt nicht aus sich heraus, was recht und billig ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2011)

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