Freud und der Film: "Ihr könnt mich Siggi nennen"

Beide entstanden fast gleichzeitig: Aber trotz augenfälliger Verbindungen hat die Psychoanalyse im Kino kein leichtes Los.

1896 verwendete Sigmund Freud erstmals das Wort Psychoanalyse, als er vom „etwas subtilen Ausforschungsverfahren“ seines Kollegen Josef Breuer sprach. Kurz davor, am 28. Dezember 1895, hatte die (offizielle) Geburtsstunde des Kinos geschlagen, mit der ersten öffentlichen Vorführung des Kinematografen der Brüder Lumière in Paris. Die augenfälligen Verbindungen zwischen den beiden neuen Disziplinen sorgten bald für Interesse. Theoretisch etwa in der filmwissenschaftlichen Pionierarbeit „Das Lichtspiel“ (1916) des Psychologen Hugo Münsterberg: „Jeder Traum wird wirklich“, schrieb er über die neue Kunst.

Die praktische Seite folgte schnell genug: Studioboss Sam Goldwyn wollte Freud eine „wirklich große Liebesgeschichte“ für Hollywood verfassen lassen – doch Freud lehnte das Angebot ab: Kino sei minderwertige Simulation. Den ersten großen psychoanalytischen Film betreute dann sein früherer Mitarbeiter Hanns Sachs: „Geheimnisse einer Seele“ (1926) von G.W. Pabst schilderte das Fallbeispiel einer Heilung mit expressionistischen Effekten.


Popkultur-Psychiater. Längst sind Psychiater in der Popkultur allgegenwärtig: Mit Schlüsselrollen in TV-Serien wie „In Treatment“ oder den „Sopranos“, deren Idee der komischen Konfrontation von Psychotherapeut und Mafioso parallel für die Komödie „Analyze This“ (1999) mit Robert De Niro diente. Oft genug genügen Klischees: Parodistischen Couchtrips wie bei Woody Allen (ein führender Kinoverarbeiter der eigenen Therapie) stehen unheimliche Ärzte gegenüber, seit der Klassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1919) in windschiefe Irrenhaus-Welten lockte. In den 1940ern wurde Freudianismus zur Modekrankheit der Traumfabrik. Der deutsche Emigrant Curtis Bernhardt drehte prägende Psychiatrie-Noirs wie„Possessed“(1947) mit John Crawford, Otto Preminger ließ im tollen Thriller „Whirlpool“ (1949) ausgerechnet die Gattin eines erfolgreichen Psychoanalytikers in die Fänge eines dubiosen Hypnotiseurs geraten. Salvador Dalí gestaltete eine entsprechende Traumszene für Alfred Hitchcocks Anstaltskrimi „Spellbound“(1945).

Für die faszinierende Filmbiografie „Freud“ (1960) schwebte Regisseur John Huston ein Abenteuerfilm vor: Montgomery Clift steigt in der Titelrolle wie ein Höhlenforscher zu seltsamer Musik ins Unterbewusste. Jean-Paul Sartre hatte das (epische) Drehbuch verfasst – und zog nach unvermeidlichen Streichungen seinen Namen zurück. Seither diente der Vater der Psychoanalyse – mit Ausnahmen wie Axel Cortis Dokudrama „Der junge Freud“ (1976) – meist als komische Pop-Ikone: In der Zeitreise-Comedy „Bill & Ted's Excellent Adventure“ (1989) stellt er sich den Titelhelden locker vor: „Hallo, ich bin Dr. Freud. Ihr könnt mich Siggi nennen.“

In „A Dangerous Method“ – der deutsche Titel „Eine dunkle Begierde“ verschenkt die originale Pointe an einen Allgemeinplatz – zeigt David Cronenberg auch einen Freud, der erstaunlich gewitzt ist. Vor allem zeigt er die Anfänge der Psychoanalyse mit rationalistischer Brillanz, die Freud endlich wieder zur Ehre gereicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2011)

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