"Presse"-Diskussion: Uni-Ausbildung für alle Lehrer und größere Wertschätzung für Bildung - Wo liegen die größten Baustellen im Bildungsbereich?
Wien/Thea. Was haben Österreich und Finnland gemeinsam? Sicher nicht die Ergebnisse des PISA-Tests. Im Bezug auf die Größe der Länder lassen sich schon eher Gemeinsamkeiten finden: Beides sind kleine Länder, in denen das „Potenzial jedes einzelnen Individuums wichtig ist. Ein Bildungssystem darf kein Kind zurücklassen“. Das erklärte Jouni Välijärvi, Direktor des Finnischen Instituts für Bildungsforschung, bei einer Podiumsdiskussion des Rats für Forschung und Technologieentwicklung an der Akademie der Wissenschaften vergangene Woche.
Auf Finnland Bezug nahm denn auch gleich (einmal mehr) Hannes Androsch, Vorsitzender des Forschungsrates und Initiator des Bildungsvolksbegehrens: In seinen Begrüßungsworten forderte er die seither viel zitierte Notwendigkeit zu einer „Finnlandisierung“ des österreichischen Schulwesens – und bereitete damit den Boden für die Ratschläge des finnischen Bildungsexperten.
Dieser betonte in seiner Eröffnungsrede vor allem die Bedeutung des sinnerfassenden Lesens – den PISA-Resultaten zu Folge eine der großen Stärken finnischer Schüler und eine der größten Schwächen der österreichischen Schülerschaft. Eine andere zentrale Qualität des finnischen Bildungssystems liege in der universitären Ausbildung aller Lehrer, sagt Välijärvi. Diese habe auch dazu geführt, dass Lehrer zu sein in Finnland ein Prestige-Beruf sei. Er bekräftigte damit die einstimmige Forderung der Podiumsgäste Hannes Androsch, Bildungspsychologin Christiane Spiel und Edeltraud Stiftinger, Leiterin des Innovationssektors der Siemens AG Österreich: Man müsse auch hierzulande die Lehrerausbildung auf allen Ebenen akademisieren.
Ein weiterer Ratschlag, den der finnische Bildungsexperte am Podium äußerte: Schülern mit Migrationshintergrund müsse das Schulsystem bessere Perspektiven bieten: „Wenn sie schon in jungen Jahren erkennen, dass sie keinen Platz in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt haben, werden sie logischerweise keine Motivation für die Schule aufbringen.“
Das Ende der Bildungsvererbung?
Wie die soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems erhöht werden könne, beschäftigte die Diskutanten im weiteren Verlauf. Einig war man sich darin, dass die Förderung jedes Einzelnen so früh wie möglich beginnen müsse, um soziale Unterschiede zu kompensieren. Auch die Art des Lernens und Lehrens müsse sich grundlegend verändern. Neben Fachwissen würden soziale Kompetenzen wie etwa Teamfähigkeit auch am Arbeitsmarkt immer wichtiger, so Stiftinger. Bildungspsychologin Spiel kritisierte vor allem die fehlende Wertschätzung für Bildung in Österreich. Es sei – auch unter Politikern – bis heute geradezu „cool, in der Schule schlecht gewesen zu sein“. Mit der Perspektive des „Life Long Learnings“ müsse Lernen endlich als Herausforderung und nicht als Bedrohung begriffen werden, sagt Spiel.
„Neugier und Lernfreude erhalten“
„Das Ziel muss sein, Neugier und Lernfreude durch die gesamte Bildungslaufbahn zu erhalten. Und die selbstständige Lernkompetenz zu fördern“, bestärkte Spiel die Aussage Stiftingers, wonach auch die Arbeitnehmer der Zukunft „ständig offen für neues sein müssen“, um im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen zu können. „Wir können heute noch von der Forschung in Österreich profitieren, aber wenn wir nicht schleunigst jene Reformen, die seit Jahren auf dem Tisch liegen, in Angriff nehmen, wird es irgendwann aus sein“, mahnt sie.
Einig war man sich in der Abschlussrunde vor allem in einem: Viele „Baustellen“ müssten parallel in Angriff genommen werden, um eine grundlegende Reform des Bildungssystems zu erreichen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2011)