„Dann wäre der Nahe Osten voller Atomstaaten“

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Der israelische Iran-Experte Meir Litvak über Gefahren und Folgen einer Atommacht Iran. "Der Iran im Schirm der Bombe kann Terroristen den Rücken decken", satgt der Experte im Interview.

Die Presse: Herr Litvak, kann man Teheran durch verschärfte Sanktionen jetzt überhaupt noch zu einem

Richtungswechsel zwingen?

Meir Litvak: Das kommt sehr auf die Art der Sanktionen an. Es müsste schon eine sehr klare Verschärfung sein, etwa ein Handelsstopp für iranisches Benzin. Wenn im Iran eine schwere finanzielle Krise entstünde, könnte man wohl etwas erreichen. Das würde aber die Kooperation von Russland und China voraussetzen, und das ist eher unwahrscheinlich. Auch ob der Westen wirklich mithalten würde, ist nicht sicher: Dort herrscht Sorge um die Ölpreise.

Halten Sie einen Atomstaat Iran für eine existenzielle Bedrohung Israels? Kann Israel einen Atomstaat Iran zulassen?

Was heißt denn „existenzielle Bedrohung“? Eine Atombombe allein wird Israel nicht zerstören. Aber wenn es Krieg geben sollte und es sterben 100.000 Menschen in Tel Aviv und das Handels- und Finanzzentrum in Tel Aviv wird zerbombt, welches Israel haben wir dann noch? Kann es dann überhaupt noch als Staat und als Gesellschaft funktionieren? Auch wenn der Staat an sich nicht zerstört wird, kann seine Existenz gefährdet sein.

Halten Sie denn einen iranischen Atomangriff auf Israel für möglich?

Nicht zwingend. Ein Krieg zwischen dem Iran und Israel muss kein Atomkrieg sein. Israel, die USA und andere können den Iran davon abhalten, Atomwaffen einzusetzen.


Warum dann die Aufregung?

Ein Atomstaat Iran ist problematisch. Es sieht nicht so aus, als plane Teheran einen Angriff, aber wir können nicht sicher sein, dass es so bleibt. Jemand wie Präsident Ahmadinejad lässt sich vielleicht nicht abschrecken. Der Iran im Schirm der Bombe kann Terroristen den Rücken decken. Stellen Sie sich vor, dass die Hisbollah hunderte Raketen auf Israel feuert und dem Iran signalisiert, dass jeder Gegenschlag Israel teuer zu stehen käme. Zudem würde auch Saudiarabien nukleare Ambitionen zeigen, und die Türkei und Ägypten. Dann wäre der Nahe Osten voller Atomstaaten. Die Gefahr wüchse, dass aus Versehen, Missverständnissen oder Eskalationen von Konflikten Atomwaffen zum Einsatz kommen.

Wo ist Irans Opposition, die nach der vorigen Wahl auf die Straße ging?

Die ist demoralisiert und gelähmt. Ich glaube, die Mehrheit der Iraner zieht den zwar nicht guten, aber vertrauten Status quo einer ungewissen Zukunft vor. Zudem ist die Unterdrückung effektiv. Es kann sein, dass die Opposition auch daran scheitert, eine breitere Agenda zu schaffen, die über das Ziel der Demokratisierung hinausgeht. Es gibt keinen wirtschaftlichen oder sozialen Aspekt, der für Arbeiter und Händler attraktiv wäre.


Wie wahrscheinlich ist ein Präventivschlag der israelischen Luftwaffe gegen Irans Atomanlagen?

Solange unklar ist, ob die internationale Gemeinschaft aktiv wird oder nicht, rechne ich nicht mit einem Alleingang Israels. Sonst würde man uns nachher beschuldigen, wir hätten friedliche Lösungswege sabotiert.

Zur Person

Meir Litvak wurde 1958 in Jerusalem geboren und studierte unter anderem in Harvard (USA), wo er 1991 zum Doktor der Philosophie graduierte. Heute ist Litvak Direktor des Institutes für Iranstudien, das am „Dayan-Zentrum für Nahost- und
Afrikastudien“ der Universität von Tela Aviv untergebracht ist. Zu seinen Forschungsgebieten zählen unter anderen der arabische
Antisemitismus und die Perzeption des Holocaust in Europa in der arabischen Welt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2011)

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