Mahrer: „Wir brauchen einen moralischen Wiederaufbau“

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Was steckt hinter der Politikverdrossenheit. Werteverfall sagt Harald Mahrer, Präsident der Julius-Raab-Stiftung, im Interview.

Die Presse:Die Julius-Raab-Stiftung, deren Präsident Sie seit Ende September sind, stellt nächste Woche ihr Werteprogramm mit dem Titel „Österreich gemeinsam verbessern“ vor. Was veranlasst Sie dazu?

Harald Mahrer: Die Raab-Stiftung will die Werte-DNA des Wirtschaftsbundes und der ÖVP wieder in den Vordergrund stellen. Das ist kein neues Programm, sondern ein bewährtes, aber es ist bei nicht wenigen Mitgliedern unserer Familie in Vergessenheit geraten.

Bei wem?

Ohne Namen zu nennen: bei vielen Entscheidungsträgern der vergangenen Jahre. Die ÖVP hat immer weniger wertegeleitete Politik gemacht. Im Übrigen gilt das auch für die anderen Parteien. Initiativen wie die „Sektion 8“ zeigen, dass die SPÖ ähnliche Probleme hat.

Ist die Politik ideen- und ideologielos geworden?

Sagen wir so: Es gibt eine Ideenlosigkeit und einen Ideologieverlust.

Was sind die Ursachen dafür?

Seit dem EU-Beitritt ist Politik komplexer und inhaltlich anspruchsvoller geworden. Aber deswegen darf man nicht vergessen, was einen ausmacht. Der Bürger muss nachvollziehen können, warum die Regierung etwas tut. Sonst geht das Vertrauen verloren.

Der Werteverlust ist der Grund für die Politik- und Parteienverdrossenheit?

Schauen Sie sich um: Wir haben Mutlosigkeit, Korruption und politischen Stillstand. All das ist Ausdruck eines totalen Verfalls unserer Werte. Wir brauchen einen moralischen Wiederaufbau in der Politik.

Das klingt ziemlich apokalyptisch.

Ich glaube, dass Österreich vor der größten politischen Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg steht. Das ist nur vielen nicht bewusst. Die Leute spüren, dass sich die, die sich um die Probleme kümmern sollten, nicht in dem Ausmaß darum kümmern, wie sie es sollten.

Wie lange geht das gut?

Bis zum Zahltag. Und der ist jetzt. Das Land ist finanziell am Ende.

Und Sie glauben, dass die Regierung einsichtig genug ist, einen Veränderungsprozess einzuleiten?

Ja, weil der Druck zu groß geworden ist. Einzelinitiativen schießen wie Schwammerln aus dem Boden. Zuschauen ist keine Option mehr.

Wie muss der Staat in Zukunft organisiert sein?

Die Menschen sind zur Freiheit geboren und nicht zur Knechtschaft. Es gibt zu viele Verbote und zu viel Überwachung. Stattdessen braucht es Anreize, mehr Freiheit, mehr Eigenverantwortung und mehr Transparenz. Ein starker Staat greift nur dort ein, wo Dinge passieren, die dem Gemeinwohl schaden.

Das macht er jetzt nicht?

Wenn ich mir die Korruptionsfälle der letzten Zeit ansehe, bin ich mir nicht sicher. Diejenigen, die öffentliches Eigentum plündern, sollten stärker zur Verantwortung gezogen werden. Man muss mit der ganzen korrupten Gruppe aufräumen.

Welche Maßnahmen würden Sie sofort einleiten, wenn Sie es könnten?

Ich würde das Steuer- und Transfersystem umbauen. Es gibt am oberen wie am unteren Ende total eigenartige Vergünstigungen und Schlupflöcher. Und es braucht eine Demokratiereform in Richtung Partizipation und Bürgerbeteiligung.

Die Raab-Stiftung hat ein Naheverhältnis zum Wirtschaftsbund und zur ÖVP. Denken Sie im Auftrag von Michael Spindelegger für die Partei vor?

Nein, wir haben uns den Auftrag selbst gegeben – wohl auf Initiative des Wirtschaftsbundes. Man hat mich gefragt, ob ich das machen möchte – wissend, dass ich zu den wenigen Enfants terribles in der ÖVP zähle. Das ist doch auch eine Indikation dafür, dass es Bereitschaft zur Veränderung gibt.

Löst die Raab-Stiftung die Parteiakademie als Thinktank der ÖVP ab?

Nein, es hat immer beides gegeben. Wir werden auch weiterhin vieles gemeinsam machen.

Warum engagieren Sie sich politisch?

Weil ich ein Idealist bin. Wenn man die Möglichkeit hat, einen positiven Beitrag zu leisten, dann sollte man das auch tun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2011)

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