Das Jahr der Rücktritte

Nach Pröll und Marek treten nun auch noch Grillitsch und Haberzettl ab. Abgesehen davon, dass uns noch ein paar Namen einfallen würden, ist das noch kein Beweis für politische Kultur.

Der Befund war richtig und häufig zu hören: Es gibt keine Rücktrittskultur in Österreich. Auch an dieser Stelle wurde die notwendige Konsequenz politischer Verantwortung eingefordert, die das von politischer Inkompetenz, Skandalen und Korruptionsvorwürfen geplagte Österreich selten erleben durfte.

Doch 2011 ist ein bisschen anders: Den Anfang machte Josef Pröll als ÖVP-Parteiobmann und Vizekanzler, seinen Generalsekretär Fritz Kaltenegger nahm er auch gleich mit. Christine Marek durfte als Wiener Rest-ÖVP-Chefin gehen. Bei den Wiener Grünen verzichtete die frühere Stadtplanungsexpertin und Aufdeckerin Sabine Gretner auf die rot-grüne Machtharmonie. In dieser Woche gab dann überraschend Fritz Grillitsch als ÖVP-Bauernchef auf. Und am Samstag platzte die Meldung, dass sich Wilhelm Haberzettl aus seiner einflussreichen Position als oberster Bahngewerkschafter zurückzieht.

Das ist erstaunlich und zum Teil ein gutes Zeichen. Was dabei jedoch oft stört, ist die Verbiegung der Realität. Josef Pröll ging trotz aller Erklärungen nicht nur wegen seiner angeschlagenen Gesundheit. Aber im Moment des schmerzlichen politischen Abschieds vergisst man einiges, etwa die einstigen großen Ankündigungen, die man allesamt nicht erfüllen konnte. Das ist nur menschlich.

Auch die Erklärung, Grillitsch könnte aufgrund seiner Einladung an den mittlerweile schon fast in Vergessenheit geratenen Integrationsprovokateur Thilo Sarrazin unter internen Druck gekommen sein, ist absurd. An anderer Stelle wurde die gegenteilige These aufgestellt: Grillitsch, der Mann mit dem kleinen Bauernhof, habe „Multikultiveranstaltungen“ besucht und Staatssekretär Kurz geschätzt. Sogar in der noch immer rustikal und nicht sehr modern geprägten ÖVP ist 2011 beides kein großes Problem mehr.

Dann war da noch die Variante mit möglichen Telekom-Zahlungen an ihn oder seine Organisation als Grund für das Aus. Der Telekom-Schmiergeld-Generalverdacht wird derzeit gegen jeden Politiker und Berater erhoben. Erstaunlich, wie viel Geld das arme Unternehmen ausgeben musste, um sich in den Parteizentralen beliebt zu machen. Wie waren andere Telefonanbieter eigentlich ohne Schutzgeld erfolgreich?

Laut aktuellem Stand der Recherchen – der ändert sich im nebligen Sumpf stündlich – sind diese Telekom-Überweisungen an die Bauern auf der nach oben offenen österreichischen Parteienfinanzierungsskandal-Skala weiter unten: Dass die Erntedankfeiern auf dem Wiener Heldenplatz von der Telekom ordentlich gesponsert wurden, sah dort jeder Besucher an den Werbemitteln. Das war vielleicht unternehmerisch blöd und mit unschöner Optik, aber solange kein Geld vom Veranstalter „Forum Land“ an den Bauernbund floss, ist es keine Parteienfinanzierung. Zum Vergleich: Dass etwa A1 die Beachvolleyball-Partys in Klagenfurt sponserte, war zwar gut für den dort stets thronenden Jörg Haider und seinen blau-orangen Hofstaat, ist aber völlig ok. Untersucht müssen die Bauernbund-Konten aber jedenfalls werden. Und zwar nicht vom Bauernbund.

Nein, Grillitsch musste gehen, weil er Parteifreunden auf die Zehen gestiegen war. Nicht nur in der ÖVP ist das gefährlicher, als Geld zu nehmen. Dass der steirische ÖVP-Klubchef Christopher Drechsler von Intrige spricht, ist putzig. Er muss es wissen.

Auch Haberzettls Abgang lässt mehrere Deutungen zu: Dass ÖBB-Boss Christian Kern vielleicht entschlossener ist als gedacht, gegen die Gewerkschaft notwendige Strukturmaßnahmen durchzuziehen, klingt zwar wie ein frommer Wunsch. Aber ohne Hoffnung lockt bald die Schweiz als Exil.

Politiker treten in Österreich dann zurück, wenn ihnen in der eigenen Partei die Macht ausgeht. Wenn sie schwere Fehler machen oder es berechtigte Zweifel an ihrer Kompetenz gibt, wie bei Norbert Darabos, nicht. Noch schlimmer: Wenn eine durch die erste Instanz als kriminell verurteilte Figur wie Uwe Scheuch nicht zurücktritt. Das zeigt, dass Österreich noch immer ein Defizit in politischer (Rücktritts-)Kultur hat.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2011)

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