Monti und die Strippenzieher – ein fragiles Experiment

Italien hat jetzt ein Reformprogramm, das die Staatspleite abwenden könnte. Der Schönheitsfehler: Es muss von der Übergangsregierung erst umgesetzt werden.

Der „Cavaliere“ ist Geschichte, und Italien hat (hoffentlich) bald eine funktionierende Übergangsregierung, die das am Samstag vom Abgeordnetenhaus in Rom verabschiedete Reformpaket umsetzt. Das hört sich für den Anfang nämlich gar nicht so schlecht an: Kürzungen bei den großen Ausgabenbrocken (etwa durch eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters), Einmaleffekte durch Privatisierungen und Immobilienverkäufe, gleichzeitig steuerliche Anreize für Jugendbeschäftigung und Investitionen. Und nur ganz wenige Steuererhöhungen (etwa bei den Abgaben auf Treibstoffe).

Ein Paket, das auf den ersten Blick jedem Konjunkturexperten Begeisterungslaute entlocken könnte (und, ganz nebenbei, dem mit einem wackelnden Triple-A-Rating kämpfenden Österreich nicht schlecht anstehen würde).

Es könnte Italien vor dem Schlimmsten bewahren. Denn das Land hat (im Gegensatz zu Griechenland) eine funktionierende, weltmarktfähige Wirtschaft, die nur immer wieder von den Tollereien der römischen Politik zurückgeworfen wird. Eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik setzt da schnell Kräfte frei, die das ganze Land rasch wieder nach vorn bringen.

Das Paket hat nur einen entscheidenden Schönheitsfehler: Es muss erst umgesetzt werden. Die Römer und Mailänder haben den Rücktritt Silvio Berlusconis (den sie, das sollte man auch nicht vergessen, dreimal gewählt hatten) Samstagabend zwar frenetisch gefeiert. Die „Feuerprobe“ kommt aber erst, wenn die Maßnahmen für die Menschen spürbar werden. Dann wird sich zeigen, ob der „Leidensdruck“ der Krise wirklich schon bei den italienischen Wählern angekommen ist. Oder ob „die Straße“ die schönen Sanierungspläne (die ja erst der Anfang eines „Blut, Schweiß und Tränen“-Programms sein können) wieder hinwegfegt.

Es wird ein interessantes Experiment. Die Krise spült jetzt sowohl in Griechenland wie auch in Italien Leute an die Spitze von Übergangsregierungen, die in „normalen“ Wahlkämpfen eher keine Chancen hätten: kühle Technokraten ohne großes Charisma. Leute mit finanzpolitischem Sachverstand, die wissen, was jetzt zu tun ist. Denen aber die politische Hausmacht fehlt.

Die populistenfreie „Expertenregierung“, die Ex-EU-Kommissar Mario Monti, ein Wirtschaftsprofessor aus Mailand, jetzt wohl auf die Beine stellt, wird also nicht unbeträchtlich vom Wohlwollen der strippenziehenden politischen Schwergewichte im Hintergrund abhängig sein. Zu diesen „Schattenministern“ wird wohl auch Silvio Berlusconi gehören. Denn dass sich der „Cavaliere“ von der Politik lossagt und aufs Altenteil in eine seiner „Bunga Bunga“-Villen zurückzieht, glaubt keiner.

Das italienische Sanierungsexperiment wird also genau so lange funktionieren, bis einer der im Hintergrund mitmischenden Populisten die Chance sieht, aus der mit Sicherheit wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung politisches Kleingeld zu schlagen.

Ein fragiles Experiment, das freilich jede Unterstützung verdient. Denn eine Zahlungsunfähigkeit der drittgrößten Euro-Volkswirtschaft (wie sie bei einer weiteren Bonitätsverschlechterung wohl droht) kann für Europa keine Option sein. Ein auch nur 50-prozentiger Schuldenschnitt wie etwa in Griechenland würde knapp eine Billion Euro kosten. Das überfordert jeden Rettungsschirm (der ja auch noch für andere Euroländer aufgespannt ist) und wäre wohl das Ende der Eurozone, wie wir sie kennen. Mit katastrophalen wirtschaftlichen Folgen auch für die dann möglicherweise entstehende „Nord-Eurozone“.

Das droht jetzt unmittelbar nicht. Italien hat eine Wirtschaftsstruktur, die es dem Land ermöglicht, von selbst wieder auf die Beine zu kommen. Aber nur, wenn die Politik mitspielt. Wichtigste Aufgabe der Übergangsregierung wird es sein, die internationalen Anleihegläubiger zu beruhigen (um die Zinslast für die hohe Staatsschuld erträglich zu halten). Die Märkte haben am vergangenen Freitag positiv auf den sich anbahnenden Regierungswechsel reagiert. Ob das so bleibt – das liegt jetzt ausschließlich in den Händen Montis und seiner Strippenzieher im Hintergrund.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.