Ungarn bestraft Obdachlose mit Haft

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Obdachlosen weht in Ungarn künftig ein rauer Wind entgegen: Obdachlose können künftig ins Gefängnis kommen, wenn sie auf der Straße übernachten. Nicht nur in Budapest gibt es viel zu wenige Schlafstellen.

Wien/Budapest/Ib/red. Obdachlosen weht in Ungarn künftig ein rauer Wind entgegen: Das Parlament unter Ministerpräsident Viktor Orbán hat am Montagabend ein neues Gesetz über Ordnungswidrigkeiten beschlossen. Werden Obdachlose im Zeitraum von sechs Monaten zweimal beim Kampieren auf der Straße erwischt, droht eine Geldbuße von bis zu 150.000 Forint (umgerechnet 500 Euro) oder eine Gefängnisstrafe. Die Regelung sieht eine Einschränkung vor: Die Strafe darf nicht in Kommunen angewendet werden, in denen es keine Hilfsangebote für Obdachlose gibt.
„Das Leben auf der Straße wird untersagt, jeder wird mit einer beheizten Unterkunft ausgestattet, auch gegen seinen Willen“, kommentiert Máté Kocsis, der „Parteikommissar für Obdachlosenfragen“ der Regierungspartei Fidesz. Obdachlose sollen mithilfe des Gesetzes vor dem Kältetod gerettet werden, begründet Kocsis die Regelung. Sie tritt bereits Anfang Dezember in Kraft.
Armut werde strafbar, sagen NGO-Vertreter und der parlamentarische Ombudsmann für Menschenrechte, Máté Szabó. Er hat nun auch das Verfassungsgericht eingeschaltet. Bei Obdachlosigkeit handle es sich um die Auswirkungen einer sozialen Krise und nicht um die persönliche Entscheidung des Betroffenen, sagt Szabó.

NGOs Geldhahn abgedreht

Etwa 20.000 Ungarn sind Schätzungen des ungarischen Malteser Hilfsdienstes zufolge obdachlos. Schlafplätze gibt es landesweit aber nur 9000. In Budapest bilden sich vor den Asylen jede Nacht Schlangen. Pro Nacht müssen die Obdachlosen dort einen kleinen Betrag bezahlen. Zwei von zehn lehnen es nach Malteser-Angaben allerdings ab, in einem Heim untergebracht zu werden. Sie ziehen leere Häuser, Telefonzellen oder Parkplätze vor.
Ferenc Matlari, Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Menhely Alapítvany“, sieht die Arbeit der NGOs in Gefahr: „Die Obdachlosen könnten in Wälder oder an Plätze flüchten, wo Hilfe sie nicht mehr erreichen kann. So würde nur die sichtbare Obdachlosigkeit abnehmen.“
Auch viele ungarische Hilfsorganisationen sind Bedrängnis geraten: Vor Kurzem hat die Regierung die Fördergelder frisch verteilt. Dabei kamen vor allem Fidesz-nahe Organisationen und kirchliche Gruppen zum Zug. Somit ist auch die Obdachlosenhilfe ins Hintertreffen geraten. Die Zeitung „Pester Llyod“ schrieb, erst aufgrund der „schlagartigen Einstellung der Kooperation mit den einschlägigen und erfahrenen Hilfsorganisationen habe es überhaupt erst zu einem solchen Engpass kommen können“.

Wühlen in Tonnen verboten

Die neue Regelung ist übrigens nicht die einzige Neuerung für Obdachlose: Bereits seit Anfang 2011 dürfen Kommunen selbst entscheiden, ob sie das Wühlen nach Essbarem in Mülltonnen mit Geldbußen belegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2011)

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