Eurozone: Österreich bei Reformen Schlusslicht

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Die Schuldenbremse als Signal an die Gläubiger kommt nicht zu früh: Der heimische Reformeifer lässt laut einer Studie zu wünschen übrig. Die ehrgeizigen Maßnahmen der Problemstaaten aber tragen erste Früchte.

Wien. Die Spitzen der Regierung klopfen einander auf die Schulter, Ökonomen und Meinungsmacher aus der Wirtschaft applaudieren erfreut: Am Dienstag hat eine Schuldenbremse nach Schweizer Vorbild den Ministerrat in Wien passiert. Weil FPÖ und BZÖ die Maßnahme prinzipiell begrüßen, scheint eine Verankerung in der Verfassung gewiss.

Dass es für dieses Signal an die Gläubiger höchste Zeit ist, zeigt eine gestern veröffentlichte Studie des Brüsseler Thinktanks „The Lisbon Council“. Für ihren „Euro Plus Monitor“ haben die Experten untersucht, wie rasch und wirksam die Eurostaaten ihre Budgets und Wirtschaftspolitik an die Krisen der letzten drei Jahre angepasst haben. Österreich nimmt in diesem Ranking des Reformeifers den 17. und damit letzten Platz ein.

Die Lohnstückkosten sind ein wenig gestiegen, was auf einen leichten Verlust an Wettbewerbsfähigkeit hindeutet. Die Handelsbilanz hat sich nicht verbessert. Damit ließe sich nach den Erfolgen in den Jahren zuvor gut leben. Viel bedenklicher aber ist: Kein anderes Euroland hat so wenig getan, um den Zustand seiner öffentlichen Haushalte zu verbessern.

Nun könnte man meinen: Wir haben das auch nicht nötig, weil es uns – im Gegensatz zu den Problemstaaten – weiterhin gut geht. Immerhin liegt unser großer Nachbar, das allseits gerühmte Deutschland, auch im Krisenreformranking gleich bei Österreich – an vorletzter Stelle.

Die Brüsseler Ökonomen haben aber ein zweites Ranking erstellt, das die Länder nach ihrer wirtschaftlichen Gesundheit reiht. Dabei geht es etwa um das Wachstumspotenzial, die Wettbewerbsfähigkeit und die Widerstandsfähigkeit gegen Krisen. Und hier zeigt sich: Deutschland kann sich ein gemächliches Reformtempo leisten, weil seine vor Kraft strotzende Wirtschaft an dritter Stelle liegt, übertrumpft nur von den tüchtigen Zwergen Estland und Luxemburg. Österreich aber liegt erst im Mittelfeld – auf halbem Weg zwischen Deutschland und Frankreich, jenem Land, das den Autoren am meisten Kopfzerbrechen bereitet. Schwache Zukunftsaussichten treffen dort auf starke Resistenz gegen Reformen. Die höchste Staatsquote, ein gewaltiges Defizit, ein unflexibler Arbeitsmarkt und kaum Produktivitätszuwächse. „Für Frankreich sollten die Alarmglocken läuten“, urteilen die Experten, denn „es ist bei Weitem das am wenigsten gesunde Land mit AAA-Rating in der Eurozone.“ Immerhin: Bevor Österreich seine Topbonität verliert, sollte Frankreich dran sein.

Was laut Studie für Österreich spricht, sind das Schönwetter auf dem Arbeitsmarkt (ein Nummer-eins-Platz) und die geringe Verschuldung der Privathaushalte. Zusätzlich problematisch aber sei die „geringe Fruchtbarkeitsrate“, und „wie schwierig das Land es Migranten macht, sich zu integrieren“.

Alles in allem aber erscheinen die Perspektiven für die Eurozone in dieser Untersuchung überraschend positiv. Mut machen nämlich die Fortschritte in jenen Problemstaaten, von denen die Schuldenkrise ausgegangen ist: Griechenland, Portugal, Irland und Spanien. Die Spitzenplätze im Anpassungsranking zeigen: Dort wird über Reformen nicht nur geredet, sie werden – in oft sehr hohem Tempo – auch umgesetzt.

Estland als Hoffnungsträger

Die Budgetdefizite sinken, die Lohnstückkosten passen sich an, und die Handelsbilanzen verbessern sich (wenn auch zuerst oft nur, weil die Importe einbrechen). Freilich: Würde es dabei bleiben, wäre nicht viel gewonnen. Denn die Wirtschaft in den „PIGS“-Staaten stagniert oder schrumpft und das Heer der Arbeitslosen wird nicht kleiner. Die Olivenländer samt Irland drohen am Euro zu scheitern, und die Währung mit ihnen.

Aber Estland macht deutlich, wie das Licht am Ende des Tunnels aussehen kann: Der baltische Kleinstaat hat sich in die „zweite Phase der Anpassung“ vorgekämpft, wo die Früchte geerntet werden: boomende Exporte und steigende Investitionen, die wiederum die Produktivität vorantreiben. Damit schafft das jüngste Euromitglied den Spitzenplatz in beiden Rankings (dass eine kleine, offene und noch unterentwickelte Volkswirtschaft automatisch mehr Dynamik zeigt und sich leichter anpasst, wurde übrigens bei allen Bewertungen berücksichtigt).

Die Zuversicht der Autoren geht noch weiter: Wenn die Rechnung auch anderswo aufgeht, ließe sich das Auseinanderdriften von Nord und Süd in der Eurozone stoppen. Die Deutschen konsumieren mehr, wie aktuelle Daten zeigen, und die Südländer beginnen, mehr zu exportieren. Noch ist der Effekt viel zu schwach, aber die Richtung stimmt. Am Ende, so die Hoffnung, könnte ein geretteter Euro stehen – und zudem ein wirtschaftlich erstarktes Europa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2011)

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