„Wird uns die Unabhängigkeit wieder genommen?“

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Der Beitrittstermin rückt näher – doch die Stimmung in Dalmatien ist im Gegensatz zum Norden Kroatiens gedrückt. Fischer fürchten um ihre Existenz.

Split. Die Sonne schickt auch in diesen Novembertagen ihre wärmenden Strahlen über das Küstenpanorama der Bucht von Split. Die aus Slawonien stammende Rentnerin Agica weist vom Aussichtspunkt des Dorfes Slatine auf der vorgelagerten Insel Ciovo auf das hoch aufsteigende Küstengebirge, auf die Silhouette von Split, die blaue Adria und auf die Fähren, die von der Inselwelt Dalmatiens den Hafen ansteuern.

„Ist das nicht ein schönes Land? Das gehört jetzt uns Kroaten. Aber wie wird es sein, wenn wir in die EU kommen?“ Diese bange Frage bewegt derzeit viele Menschen in Dalmatien. Der Termin des EU-Beitritts rückt näher, und die Stimmung ist merkwürdig gedrückt, wie auch die Fragen in den Diskussionssendungen von Radio Split zeigen: „Wir haben im Krieg gegen Serbien unsere Unabhängigkeit gewonnen. Wird sie uns jetzt wieder genommen?“ – „Die Ausländer werden unsere gesamte Küste aufkaufen, wo bleiben wir?“

Nur ein junger Mann hofft, dass mit der EU „endlich neuer Wind heraufzieht“. Mit dem Integrationsprozess sei schon die Bürokratie umgekrempelt worden, Korruption werde endlich bekämpft.

Angst um katholische Identität

Slatine lebt von Fischfang und Landwirtschaft, vom Tourismus und von den Männern, die in der Werft von Trogir arbeiten oder nach alter Sitte als Seeleute bei internationalen Reedereien angeheuert haben. Der 60-jährige Dušan ist früher zur See gefahren und kümmert sich jetzt um die kleine Landwirtschaft. Schon früh morgens arbeitet er auf den verstreuten Parzellen, und im Keller gärt schon der neue Wein. Mit seinem Bruder fährt er nächtens hinaus in die Bucht, um zu fischen.

Sein ganzer Stolz ist der Olivenhain. „Was will ich in der EU?“ Er blickt auf die reifen Früchte. „Überall bauen sie Oliven an. Welchen Preis werden dann unsere noch erzielen? Schicken die Italiener dann noch öfter ihre Fischfangflotte in die Adria?“ Damit spielt er auf den vergeblichen Versuch der Regierung an, vor Jahren mit der Erweiterung der Schutzzone die Fischgründe gerade für die kleinen Fischer zu erhalten. „Berlusconi hat mit der Blockade der Beitrittsverhandlungen gedroht, die Regierung gab nach.“

Nikola hat in der Werft gearbeitet. Bis zum Frühjahr. Vielen Kollegen der einstmals mächtigen Werft, die Tanker und Hochseeschiffe in alle Welt verkaufte, ging es ebenso. Der zuletzt nur durch Subventionen am Leben erhaltene Betrieb wird auf Druck aus Brüssel privatisiert. Nikola ist also nicht gut auf die EU zu sprechen: „Jetzt herrscht nur noch das Geld.“

Die Leute hier seien „sehr konservativ und fürchten um ihre katholische Identität“, sagt der 32-jährige Domagoj aus Zagreb. Er ist Informatiker und hat einen guten Job. Kürzlich hat er für seine Familie ein Grundstück auf der Insel gekauft. Jetzt werkt er am Wochenende, um das alte Haus für nächsten Sommer bewohnbar zu machen. „Die Dalmatiner wollen sich doch gar nicht bewegen, kein Wagnis eingehen. Die wollen einfach weiterwursteln. Das ist im Norden anders. Da stellen wir uns den Herausforderungen. Wir sind froh, endlich auch offiziell gleichberechtigter Teil Europas zu sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2011)

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