Österreichischen Grünen werfen dem Verfassungsschutz vor, die braune Gefahr wie in Deutschland verharmlost und ignoriert zu haben. Innenministerium weist Vorwurf vehement zurück. Geheimdienst hält sich bedeckt.
Wien/Ala/Red. Nach der jüngst aufgedeckten terroristischen Mordserie gegen Ausländer und Deutsche ausländischer Herkunft kommt der Verfassungsschutz in Deutschland immer stärker unter Druck, nicht entschlossen genug gegen die Neonazis vorgegangen zu sein beziehungsweise deren Gefahrenpotenzial verharmlost zu haben. Auf Regierungsebene wird dieser Verdacht in Berlin nun untersucht.
Auch in Österreich wirft der Sozialsprecher der Grünen, Karl Öllinger, dem Verfassungsschutz vor, „rechtsextreme Gewalt nicht aufgearbeitet, sondern vertuscht“ zu haben. Dies weist ein Sprecher des Innenministeriums vehement zurück: Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) untersuche jede einzelne Anzeige und habe die Szene genau unter Beobachtung.
Tatsächlich sieht der Geheimdienst derzeit keine terroristische Bedrohung wie aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht hervorgeht. Dort heißt es zu „Rechtsextremismus“: „Die politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität bot im Jahr 2010 keine Basis für einen Rechtsextremismus, der eine ernsthafte Gefährdung der inneren Sicherheit hätte darstellen können.“ Und: „In Bezug auf die Gesamtmenge der von den Sicherheitsbehörden im Berichtsjahr bearbeiteten Fälle strafbarer Handlungen spielten die Aktivitäten des organisierten Rechtsextremismus eine eher zweitrangige Rolle.“ Soll heißen: Vorkommnisse wie in Deutschland seien in Österreich derzeit undenkbar.
Das sehen die Grünen anders: Im Jahr 2002 sei ein Waffenlager von Neonazis in Wien entdeckt worden. Drei Männer, die damals angehalten wurden, als sie die Waffen abtransportieren wollten, seien nie angeklagt worden. Zudem will Öllinger von einem Onlineforum wissen, in dem sich Teilnehmer 2006 über den Bau von Bomben unterhielten – und zwar, „ohne den Verfassungsschutz zu beunruhigen“. Das Innenressort würde die Verwicklung von FPÖ-Politikern in solche Netzwerke bewusst ignorieren. Die Grünen fordern die Wiedereinführung und Erstellung eines eigenen Rechtsextremismus-Berichts, der unter der Schwarz-Blau abgeschafft worden ist.
Im Bundesamt für Verfassungsschutz sagt man dazu überhaupt nichts und verweist nur auf teils anhängige Gerichtsverfahren. Wie der „Presse“ von einem Mitarbeiter bestätigt wird, werden die laufenden Ermittlungsergebnisse der deutschen Kollegen genauestens beobachtet: Mehrere Österreicher, die der braunen Szene zugerechnet werden, haben intensiven Kontakt zu deutschen Netzwerken – allen voran Gottfried Küssel, Kopf der österreichischen Neonaziszene, der heute in U-Haft sitzt.
Das BVT ermittelt auch wegen Verhetzung gegen ein Onlineforum der Hacker-Anonymous-Gruppe, auf der angeblich rechtsextreme Postings gefunden wurden – die Aufregung in der traditionell linken Hackerszene ist enorm. Laut Innenressort verdächtige man aber keinesfalls die Anonymous-Gruppe der Verhetzung, sondern ermittle nur gegen einzelne Poster.
Auf einen Blick
Eine rechte Terrorzelle soll in Deutschland zehn Menschen ermordet haben. Der Vorwurf an die ermittelnden Behörden: Die Zusammenarbeit der Bundesländer habe nicht funktioniert, Verdachtsmomente wurden ignoriert und bezahlte V-Männer seien aktive Elemente in der rechten Szene.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2011)