"Keine Zwangsehe": Das rot-grüne Regierungsjubiläum

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Die rot-grüne Regierung in Wien feiert ihr einjähriges Bestehen zwischen Pflichtübung und Kür. Die Politologen Filzmaier und Hofer analysieren die "Gretchenfrage der Koalition", Versäumnisse und Hoffnungsschimmer.

Am 25. November 2010 war es soweit: Die erste rot-grüne Landesregierung Österreichs wurde im Wiener Landtag angelobt. Vor den Augen einer zum Bersten vollen Besuchergalerie, die mit Argusaugen auf etwaige Fehler spähte. Seither hat sich einiges getan, kritische Blicke verfolgen die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou und den neuen alten SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl aber noch heute. Dennoch sind sich Politologen einig: Das auf den ersten Blick ungleiche Team hat einiges bewegt - Positives wie Negatives.

„Es ist gelungen, das rot-grüne Schreckgespenst zu vertreiben. Denn das Chaos ist in Wien definitiv nicht ausgebrochen", sagt Politikberater Thomas Hofer im Gespräch mit DiePresse.com. Grobe Fehler wurden ausgelassen, sichtbare Meilensteine aber auch. „Eine klare rot-grüne Handschrift kann man nicht erkennen", so Hofer. In Summe vermittle Rot-Grün aber „häufiger als die Bundesregierung das Gefühl, miteinander regieren zu wollen, und nicht nur eine Art Zwangsehe zu führen", erklärt der Politologe Peter Filzmaier. Die Pflichtübung scheint damit gelungen, die Kür noch nicht.

„Leuchtturmprojekte" in der Warteschleife

Hofer vermisst „grüne Leuchtturmprojekte", während Filzmaier in der ausständigen Wahlrechtsreform „die Gretchenfrage der Koalition ortet". Der Teufel stecke nämlich im Detail: Vor allem an der Mindestprozentklausel, die die Zersplitterung der Volksvertretung durch Kleinstgruppen verhindern soll, werde die Koalition zu beißen haben. „Die rein rechnerische Option, dass mit knapp unter 50 Prozent der Stimmen eine absolute Mandatsmehrheit möglich ist, wird also wahrscheinlich irgendwie fortbestehen", sagt Filzmaier.

Indes sei die beschlossene Jahreskarte für die Wiener Linien um 365 Euro als grüner Teilerfolg zu verbuchen. „Es ist aber nichts, wofür man gewählt wird", räumt Hofer ein. Hätte Vassilakou und ihr Team die 100 Euro-Tickets durchgesetzt, wäre es dagegen ein eindeutiger Erfolg gewesen. Auch das Verbot des „kleinen Glückspiels" sei inhaltlich auf der grünen Haben-Seite zu verbuchen, eine Kommunikationschance hätte man aber verpasst.

Häupl steht vor Drahtseilakt

Ebenfalls verpasst habe es die rot-grüne Regierung laut Hofer das wohl größte potenzielle Konfliktthema anzusprechen: die Integration. Hier stehe Bürgermeister Häupl vor einem Drahtseilakt: „Die SPÖ darf sich nicht zu weit in Richtung Koalitionspartner bewegen, dann riskiert sie, ihre sehr breite Basis zu vergrämen und noch mehr Wähler in Richtung FPÖ zu verlieren."

Als sehr schwierig stuft Hofer auch das Thema Verkehr ein. „Die Konzepte der Grünen, Stichwort Parkpickerl, sind für die SPÖ kaum massentauglich zu verkaufen." Auch Filzmaier ist kritisch: „Eine Gesamtstatistik wird nicht anerkannt, wenn man selbst im Stau steht. Der Regierung müsste es also gelingen, wenigstens das Gefühl zu vermitteln, es würde spürbar weniger PKW-Verkehr geben." Ob das zahlenmäßig nun 20, 30 oder 40 Prozent sind, sei vermutlich für den politischen Wettbewerb nicht so entscheidend.

"So wahrscheinlich wie nebelfreier November"

„Die Frage am Ende wird sein: Waren es genug Erfolge, die Häupl den Grünen gelassen hat, sodass die Koalitionsparteien bei der nächsten Wahl gestärkt werden können?", konkretisiert Hofer. Einen Gefallen werde der Bürgermeister seinem grünen Partner aber nicht tun. „Er hat klarerweise nur die SPÖ im Auge."

Momentan sei es aber noch zu früh, um bei dem Gedanken an Rot-Grün in „Jubelchöre oder pauschale Verurteilungen" auszubrechen, so Filzmaier. Ein Blick in die Zukunft fällt dennoch optimistisch aus: Beide Parteien haben die Chance, für den Bund eine Alternative aufzuzeigen, sind sich die Experten einig. Allerdings mit einem kleinen Schönheitsfehler, wie Hofer festhält: „Eine rot-grüne Mehrheit im Bund ist derzeit noch so wahrscheinlich wie ein nebelfreier November in Wien."

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