Die virtuellen Netze der Neonazis

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Rechtsextreme sind zunehmend im Internet aktiv. Nach Gottfried Küssels Verhaftung organisiert sich die Szene neu. Er war in der Vergangenheit nicht nur oft bei den ostdeutschen Kameraden zu Gast.

Wien. Was wusste die österreichische Neonaziszene über die Zwickauer Zelle? Gab es unter den üblicherweise gut vernetzten Kameraden Mitwisser oder gar Mithelfer?

Im Innenministerium weiß man „zum derzeitigen Zeitpunkt“ nichts von direkten Verbindungen österreichischer Neonazis zur Zwickauer Terrorzelle. Dass es grenzüberschreitende Kontakte gebe, sei „ja sehr logisch“, findet Sprecher Karl-Heinz Grundböck. Es sei jedoch ein „Riesenunterschied, ob Neonazis miteinander in Kontakt stehen oder es Verbindungen zum Terror gibt“.

Karl Öllinger, Nationalratsabgeordneter der Grünen und Betreiber der Website stopptdierechten.at, will österreichische Mitwisser dennoch nicht ausschließen: Fünf der neun Morde an Einwanderern wurden in Süddeutschland – München und Nürnberg – begangen. Die süddeutsche Szene gilt als traditionell „gut vernetzt“ mit Österreich, vor allem mit Neonazis aus Oberösterreich. Auch sei denkbar, dass Sammlungen für „Kameraden im Untergrund“ organisiert wurden oder dass das Bekennervideo mit Paulchen Panther „schon in der Szene kursierte“, wie Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes sagt.

„Tollpatschiger“ Übervater Küssel

Die noch immer prominenteste Integrationsfigur zwischen österreichischer und deutscher Szene ist wohl der österreichische Neonazi Gottfried Küssel, der derzeit in Untersuchungshaft sitzt. Er war in der Vergangenheit nicht nur oft bei den ostdeutschen Kameraden zu Gast – unter anderem bei Vertrauten aus den Jugendtagen von Uwe B. und Uwe M. – , er gilt überhaupt als Vorbild für ostdeutsche Neonazis. In den Neunzigerjahren leistete er „Aufbauarbeit“ im Osten, seine Vapo galt als Prototyp für die späteren Freien Kameradschaften. Mittlerweile hat er aber an Strahlkraft eingebüßt. „Er ist ein Relikt, dem man Achtung entgegenbringt, weil er verdienstvoll für die Bewegung war“, sagt Öllinger. Dass der selbst erklärte „Nationalsozialist“ immer wieder in die Fänge der Justiz tappt, lässt ihn für viele Junge mittlerweile als ziemlich ungeschickt wirken.

Tollpatschigkeit bzw. technische Ahnungslosigkeit dürften auch dazu geführt haben, dass er seit April in U-Haft sitzt. Küssel ist mutmaßlicher Initiator der mittlerweile geschlossenen Website alpen-donau.info. Einige der Poster im Forum der Seite, das zeitweise von 80 – manche schätzen gar 200– Neonazis frequentiert wurde, waren nicht so schwer zu enttarnen.

„Alpen-donau“ wurde nach ihrem Erscheinen im März 2009 zu einem Internetsammelbecken der Neonaziszene – und damit Abbild eines allgemeinen Trends: Formale Organisationsstrukturen verlieren an Bedeutung; lockere, konspirativere Organisierung wird zunehmend populär. Die Zahl regelmäßig erscheinender Publikationen geht zurück; Webseiten und Facebook-Gruppen werden zur Kommunikation zunehmend genutzt. Eine Herausforderung – vor allem für die Beobachter: So notiert der österreichische Verfassungsschutzbericht 2011, dass durch die „unüberschaubare Menge offen zugänglicher Inhalte eine intensive und laufende Kontrolle von Internetaktivitäten de facto nicht möglich ist“.

Und die Szene? Sie wurde durch Küssels Verhaftung kurzfristig geschwächt. Doch sie reorganisiert sich: Das Nachfolgeprojekt von „alpen-donau“ nennt sich „Stolz und frei“, zeigt einen blonden Jüngling in Braunhemd, will „Volkswirtschaft statt Kapitalismus“ und heißt Integration einen „Völkermord“. Die „Stolz und Frei“-Jünger sind propagandistisch tätig und verteilen Flugblätter. Vom Auffliegen von „alpen-donau“ hat man offenbar „gelernt“: Ein Forum gibt es auf der Seite nicht. Eine beunruhigende Entwicklung, findet Öllinger: „Wir wissen nicht, wo und wie die Szene jetzt kommuniziert.“

Was bisher geschah

Der Zwickauer Zelle werden zehn Morde zwischen 2000 und 2007 zur Last gelegt. Am Donnerstag wurde ein weiterer Verdächtiger festgenommen. Der 32-jährige Andre E. wird beschuldigt, in zwei Fällen den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) unterstützt zu haben. Gestern durchsuchten Sicherheitskräfte seine Wohnung in Zwickau sowie drei weitere Wohnungen in Dresden und Jena. Andre E. soll 2007 den Videoclip hergestellt haben, mit dem sich die NSU zu ihren Taten bekannte. Es gebe Hinweise auf ein braunes Unterstützernetzwerk und eine rechtsextreme Sympathisantenszene im Umfeld der Terroristen, sagte gestern der Vorsitzende des Geheimdienste-Ausschusses des Bundestags, SPD-Politiker Thomas Oppermann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2011)

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