Mit Blut für Träume bezahlt

Der iranische Student Kami holt mittels Laptop die Welt in ein Teheraner Wohnhaus. „Der geheime Basar“ des israelischen Autors Ron Leshem – ein Roman über den Einfluss des Internets auf soziale Prozesse unter autoritären Regimen.

Das Internet und seine Rolle für die Vorbereitung und Unterstützung von Revolutionen: Schon Jahre vor dem „Arabischen Frühling“ hat der israelische Autor Ron Leshem beides im Roman „Der geheime Basar“ thematisiert. Das Internet ermöglicht globale Kommunikation, und zwar auch jenen Menschen, deren Regimes ihnen Freundschaft und Kontakt gar nicht erlauben, etwa Israelis und Iranern. Per Internet wird nach Verschwundenen gesucht, mit dem Internet schwappt die politische Wirklichkeit des eigenen Landes, hier des Iran, ins Haus: So erfährt man, welche Friseursalons geschlossen werden müssen, weil sie westliche Haarschnitte angeboten haben. Durch das Internet, genauer durch die zensierten Webseiten, wird auch klar, was alles nicht gewusst werden darf.

Wie lebt man in solchen Regimen, mit allen Restriktionen und unter ständiger Lebensgefahr? Dieser Frage ging Ron Leshem in seinem Roman nach, und zwar zunächst mit Blick auf die jungen Iraner. Werden Menschen nach Jahrzehnten der Unterdrückung den Mut finden, gemeinsam auf die Straße zu gehen? Was wird es auslösen, was wird danach passieren? Was im Iran passierte, konnte Leshem schon bald, nachdem er den Roman beendet hatte, sehen: Da kam es nämlich zur grünen Revolution. Sie wurde niedergeschlagen. Leshem beschreibt aber auch die Generation jener, die einst die Revolution gegen den Schah entweder mit Enthusiasmus betrieben oder zumindest miterlebt haben, auch jene, die nicht ins Exil gegangen sind oder gehen mussten und heute noch wie geduckt und in Angst, vom Nachbarn ausgehorcht und verraten zu werden, im Land leben. Sie haben gesehen, wohin die Revolution führte: auf Friedhöfe und in die Arme der Mullahs.

In die Dialoge seiner jungen und alten Protagonisten flicht Leshem Diskussionen über die Politik und resignative Erkenntnisse ein. Dass der Westen damals übersah, was durch die Mullahs drohte, war ein folgenschwerer Fehler, die Früchte erntet nicht nur der Iran, sondern auch der Westen seit Jahrzehnten. Die Tante des Icherzählers kommentiert es so: „Schließlich hätte das hier eine sozialistische Revolution sein sollen. Sie war es anfangs auch. Also mach die Augen auf und frag dich, wie es geschehen konnte, dass sie auf einmal von Khomeini und den schwarzen Mullahs vereinnahmt wurde. Das passierte, weil jemand in London, Paris und Washington dachte, dass der Sozialismus für den Kapitalismus viel gefährlicher sei, als ein religiöses Regime jemals werden könnte.“

Beiden Generationen gibt Leshem hier Stimmen: den alten Enttäuschten, die sich teils von der Welt abgeschottet haben, wie die Tante, eine ehemalige Schauspielerin, oder jene Dame, die behauptet, einmal Richterin am Obersten Gerichtshof gewesen zu sein. Sie weiß und warnt: „Für Träume, meine Herrschaften, bezahlt man mit Blut.“ Und: „Demonstrationen bringen nichts als Katastrophen.“ Die Jugendlichen hingegen nützen heimlich aus, was sie für ihre Freiheit halten. Doch die Untergrundpartys sind samt Sex, Alkohol, Drogen geduldet, damit die Jugend nicht politisch gefährlich wird. So sind sie mit Feiern beschäftigt statt mit Revolutionen. Auch eine wirksame Möglichkeit, ein Volk ruhig zu stellen.

Was auf den ersten Blick aussehen könnte wie das ganz normale Leben von jungen Menschen, wird auf den zweiten Blick und im Verlauf der Handlung für jene, die in diesem System aufbegehren, todernst. Kami, der Icherzähler, kommt zum Studium aus der Provinz in die Stadt Teheran. Er wohnt bei der Tante, jener einst berühmten, nun vergessenen Schauspielerin. Kami wird sie und die anderen Bewohner des Hauses durch seinen Laptop an die Welt des Internets anschließen und damit einiges ins Rollen bringen. Die Figurenaufstellung erlaubt es Leshem aber auch, die unterschiedlichsten Weisen zu erzählen, wie man sich an das System gewöhnen, dagegen rebellieren oder sich ihm anpassen kann. Leshem gibt sogar Kamis Freund Amir, der religiös und später der „Partei des Volkes“ beitreten wird, eine nicht unsympathische Rolle. Muhammad wiederum verkauft heimlich Science-Fiction-Literatur, ermöglicht Ausreisen für jene, die ins Exil fliehen müssen, und gibt heimlich Informationen über das Regime weiter, etwa über die Zahl der Minderjährigen, die in den Todeszellen auf ihren Hinrichtungstermin warten.

Der 1976 geborene Ron Leshem ist Journalist, Fakten bieten die Grundlage seiner Literatur. Für seinen Debütroman „Wenn es ein Paradies gibt“, mit dem er international bekannt und der unter dem Titel „Beaufort“ verfilmt wurde, hat er Interviews geführt und auf privates Filmmaterial zurückgegriffen. Für „Der geheime Basar“ hat er Chat-Kontakte zu iranischen Freunden verwendet, ihre Erfahrungen und Lebenswelten in den Roman einfließen lassen. Diese Freunde konnte er nur mit Mühe persönlich treffen, denn Iranern und Israelis wird es von Staats wegen verunmöglicht, Freund zu sein, wie Leshem im Epilog erzählt.

Allmählich dämmert dem Studenten Kami seine Naivität: „Als ich aufwuchs, war ich sicher, dass die Freiheit der Schlusspunkt des Stroms sei, auf dem die Welt schwamm, schwerfällig, verwirrend, manchmal einhaltend, doch sie schwamm und würde am Ende ankommen, denn dort lag, natürlich und aller Logik nach, die Zukunft. All die Opfer auf dem Weg würden nur noch ein verstaubtes, sonderbares Denkmal darstellen, die Freiheit war selbstredend das Endziel der Expedition, und alles, was hier früher einmal passiert war, würde dann vorbei sein.“ Kamis Aktivismus beschränkt sich aufs Netz und gefährdet andere: etwa den schwulen Babak, der auf einmal verschwindet. Die tödliche Gefahr, die der Icherzähler zu spät bemerkt, erzählt Leshem vor allem anhand der Geschichte der Freundin des Icherzählers. „Und dann traf ich die Prinzessin der Freiheit.“ Nilufar, die Rennfahrerin, ist eine Aufsässige: „Ich habe keine Lust, mich kleingeistigen Beamten zu unterwerfen.“ Auch der Vater, ein Parlamentarier, wird sie nicht retten wollen oder können.

„Manchmal geschehen die Dinge nicht so, wie du sie gedacht oder gefühlt hast. Manchmal ist nichts in Ordnung, und manchmal wird nichts gut.“ „Der geheime Basar“ ist ein Roman über die Gewöhnung, auch an all das, was nicht gut ist. Sie wird vor allem an der im Grunde sympathischen Figur des Icherzählers sichtbar. Vielleicht fasst dieses Kapitel, das nur aus einem Satz besteht, am verstörendsten zusammen, wie sehr sich Menschen an alles gewöhnen können: „Danach lebten wir weiter.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2011)

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