Ägypten: Moslembrüder auf der Siegesstraße

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Die Voraussetzungen für die heute beginnende und etwa drei Monate andauernde Parlamentswahl sind denkbar schlecht. Am Wochenende brachte sich Friedensnobelpreisträger ElBaradei als Retter ins Spiel.

Kairo. Der Tahrirplatz besetzt, täglich blutige Zusammenstöße, Parteien und Kandidaten, die keiner kennt, ein unverständliches Wahlsystem, Stimmenkauf, Revolutionäre, die die Wahl ablehnen und Angst vor Wahlbetrug: Die Ausgangssituation für die heute beginnende Parlamentswahl in Ägypten ist denkbar schlecht.

Um die Lage noch zu verkomplizieren, kam am Wochenende Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei ins Spiel: Nur Tage nachdem der herrschende Militärrat die Regierung ausgetauscht hatte, bot er an, eine Übergangsregierung zu führen, im Gegenzug für einen Verzicht, bei der 2012 geplanten Präsidentschaftswahl anzutreten. Am Samstag hatte ElBaradei Militärchef Mohammed Hussein Tantawi getroffen.

Zeit für Sabotage und Manipulation

Trotz der Unruhen begann der Urnengang am Montag mit langen Warteschlangen. Vor vielen Wahllokalen in Kairo, Alexandria und sieben weiteren Provinzen waren die ersten Wähler schon eine Stunde vor deren Eröffnung  erschienen, um sich anzustellen. Für Ägypten, wo die Wahlbeteiligung in der Mubarak-Ära immer sehr niedrig war, ist dies ungewöhnlich. Im Dezember und Jänner folgen dann die anderen 18 Provinzen. Nach jedem Wahltag ist eine Stichwahl in den Bezirken vorgesehen, in denen kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht hat. Das Wahlergebnis soll am 13. Jänner bekanntgegeben werden.

Die Parlamentswahl erstreckt sich damit über etwa drei Monate, weil laut Gesetz in jedem Wahllokal ein Richter anwesend sein muss. Würde man sie an einem Tag abhalten, gäbe es schlicht nicht genug Richter. Das macht die Wahlen auch anfällig: Anhänger des alten Regimes haben dadurch viel Zeit für Sabotage und Manipulation. „Die Wahlen finden an jeweils zwei Tagen statt. Man weiß aber immer noch nicht, wohin die Wahlurnen in der Nacht gebracht werden – einige spekulieren, ins Innenministerium, andere sagen, die Richter nehmen sie zu sich nach Hause. Das stinkt doch schon wieder zum Himmel“, sagt Sherif, ein 21-jähriger Hotelangestellter.

Auch das Wahlsystem sorgt für Unmut. „Das ist so kompliziert, dass selbst viele Kandidaten es nicht verstehen“, schüttelt Salma, eine 24-jährige Journalistin, den Kopf. Es dürfte vor allem finanzstarke Kandidaten, also Mubarak-Sympathisanten und Kandidaten aus der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei (FGP), der Partei der Moslembruderschaft, begünstigen.

„Kenne keinen Kandidaten“

Das Hauptproblem bringt der 25-jährige Medizinstudent Mohamed Tawfik auf den Punkt: „In meinem Wahlbezirk gibt es über 100 Kandidaten, und ich kenne keinen – außer zwei ehemaligen Mubarak-Unterstützern. Von den 55 Parteien kenne ich vor allem die der Moslembrüder.“ Auch deswegen werden der FGP die größten Chancen eingeräumt. Sie ist die am besten organisierte politische Organisation in Ägypten.

Und sie verfügt über große finanzielle Ressourcen, mit denen sie mithilfe der Moscheen immer wieder um die Armen wirbt: Nach dem Gebet wurde oft angekündigt, wo und wann im Viertel Moslembrüder etwa Speiseöl, Fleisch oder Zucker zu stark verbilligten Preisen verkaufen. Wegen der großen Armut sind solche Aktionen ein starkes Wahlargument.

Doch zuletzt hatte die Kritik an der Moslembruderschaft stark zugenommen: Weil sie sich offiziell gegen die Fortsetzung der Demonstrationen ausgesprochen hatte, beschimpften sie viele Jugendliche als Verräter. Das könnte Stimmen kosten.

Die Erfolgsaussichten der jungen Revolutionäre hingegen sind eher gering. Nur wenige haben es geschafft, sich in politischen Parteien zu organisieren. Sie verfügen nicht über große finanzielle Ressourcen und konnten in so kurzer Zeit auch keine aufwendigen Parteiapparate oder Kampagnen entwickeln. Der Militärrat hat zudem alles unternommen, um etwa finanzielle Unterstützung aus dem Ausland zu unterbinden.

Viele der Demonstranten auf dem Tahrirplatz gehen nicht zur Wahl, weil sie die Herrschaft des Militärrats nicht legitimieren wollen, wie der 23-jährige Ahmed sagt: „Der Rat muss zurücktreten und eine zivile Übergangsregierung einsetzen, dann kann es Wahlen geben.“

Ahmed bevorzugt, wie die meisten anderen auf dem Platz, Mohamed ElBaradei als Übergangspremier. Der stellt indes Bedingungen: Der Militärrat müsse ihn mit solchen Vollmachten ausstatten, dass er die Übergangsphase auch überstehen könne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2011)

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