Sonntagseinkauf am Westbahnhof

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In der neuen Bahnhofcity Wien West kann man nun auch sonntags einkaufen. Zumindest in einigen, wenigen Geschäften. 43.000 Passagiere der öffentlichen Verkehrsmittel frequentieren den Bahnhof täglich.

Wien. „Es gibt keine Salami!“, ereifert sich Leo Fantini und drängt sich durch die Menschenmenge. Der Südtiroler wollte sich für die Heimreise mit Proviant eindecken. Als er die Menschenschlangen vor der Backtheke und den Kassen sieht, die sich durch den halben „Merkur Mini“ ziehen, verlässt er entnervt das Geschäft. Ohne Wurst.

„Die kommen nicht zurecht, keiner kennt sich aus. Aber sie haben ja gerade erst aufgesperrt“, sagt er und macht sich auf den Weg zum Bäcker. Dort ist an diesem Sonntagvormittag weniger los. Der ganz große Ansturm ist, abgesehen von dem „Merkur Mini“ im Obergeschoß, am ersten Tag der Sonntagsöffnung light auf dem Westbahnhof ausgeblieben. Das neue Einkaufszentrum „Bahnhofcity“ hat vergangenen Mittwoch eröffnet. Dank des Bahnhofsprivilegs dürfen einige Geschäfte, die laut Definition des Gesetzgebers Reiseproviant verkaufen, auch sonntags öffnen. Reiseproviant, dazu zählen auch Bücher, Kuscheltiere, Zahnpasta, Parfum oder Hundefutter. Allerdings, seit 2003 dürfen Geschäfte, die sonntags öffnen, nur mehr 80Quadratmeter groß sein. Während etwa am Praterstern oder auf dem Franz-Josefs-Bahnhof Billa-Filialen auf mehr als 80Quadratmetern am Sonntag öffnen, bleibt der große Merkur im Untergeschoß des neuen Westbahnhofes zu. Stattdessen öffnet Merkur dort zwei kleine Geschäfte von 5.30 bis 23Uhr. In denen herrscht Hochbetrieb, ein paar Meter weiter sind die Geschäfte leer, die Glastüren zu.

Viele kommen zum Schauen

„Das ist halt so“, meint ein älterer Mann mit langem grauen Bart und ebensolchem Haar gelassen. „Ich bin Krankenpfleger. Bei meinen Arbeitszeiten finde ich es gut, dass ich auch am Sonntag einkaufen kann“, sagt er. Heute aber sei er zum Schauen gekommen.

Die Neugier hat heute viele Anrainer in die Bahnhofcity getrieben. „Groß und monströs“, so beschreibt Hermann S. den Bau. „Ich hätte keinen neuen Bahnhof gebraucht, nicht noch ein Einkaufszentrum. Zum Einkaufen haben wir die Mariahilfer Straße. Die wird sterben“, fürchtet er. Gekauft hat er trotzdem. Ein Packerl Mon Chérie, das wird er am Nachmittag seiner Schwiegermutter bringen. Man wolle die angrenzende Mariahilfer Straße ergänzen, wurden die Betreiber des Shoppingcenters, das deutsche Unternehmen ECE, im Vorfeld nicht müde zu betonen. Konkurrent sei man keiner.

Der Standort gilt als lukrativ: 43.000 Passagiere der öffentlichen Verkehrsmittel frequentieren den Bahnhof täglich, 80.000 Autos fahren auf dem Gürtel, der Felberstraße oder der äußeren Mariahilfer Straße an dem Gebäude vorbei.

„Heute ist mehr los als an den Tagen bisher“, sagt Gilbert Neubauer, der stellvertretende Filialleiter von „Thalia“. Die Buchhandelskette muss das Geschäft sonntags durch ein schwarzes Band teilen. Der vordere Teil ist hell erleuchtet, es herrscht reges Treiben. Hinter der Absperrung ist es dunkel. „Außer den Laptop-Taschen dürfen wir das gesamte Sortiment verkaufen. Aber eben nur auf 80Quadratmetern.“

Will man ein Buch von hinter der Absperrung, bringen es die Verkäufer. „Die Kunden haben Verständnis, es gab bisher keine negativen Bemerkungen“, sagt Neubauer. Die Mitarbeiter, vier von ihnen stehen sonntags im Geschäft, würden gerne arbeiten. „Es gibt einen 100-prozentigen Zuschlag. Einige Mitarbeiter bewerben sich explizit dafür, am Sonntag zu arbeiten.“

Zum stundenlangen Shopping kommen wohl die wenigsten – gerade am Sonntag. Anders als die Mariahilfer Straße lädt die Westbahnhofcity nicht zum ausgiebigen Flanieren. Trotz der Fläche von 17.000Quadratmetern – in wenigen Minuten durchkreuzt man das Einkaufszentrum, das sich über drei Etagen erstreckt. Besonders sonntags, da beschränkt sich das Einkaufserlebnis großteils auf den Schaufensterbummel.

Speziell die „Desigual“-Filiale mit den für die spanische Modekette typischen, von der Decke hängenden Kleidern, erweist sich als Magnet. Einer jungen Frau hat es eine türkis-olivgrüne Bluse angetan. „Brauchen Sie den Preis?“, fragt ein Mitarbeiter des Geschäfts, holt die Bluse von der Stange, dreht sie, zeigt das Blumenmuster auf der Rückseite und das Etikett. Verkaufen darf er sie nicht. Er ist der Sicherheitsmann des Geschäftes, die perforierte Plastikscheibe, durch die er mit der verhinderten Kundin sprechen kann, muss am Sonntag verschlossen bleiben.

Lexikon

Die Bahnhofcity Wien West schließt direkt an den Wiener Westbahnhof an. Sie umfasst 29.000Quadratmeter Bürofläche und ein Einkaufszentrum mit rund 17.000Quadratmetern. Aufgrund des nahen Bahnhofs dürfen viele Geschäfte auch sonntags öffnen (Bahnhofsprivileg). Insgesamt haben sich 90 Shops in das Einkaufszentrum eingemietet. Alle Lokale sind vergeben. Die Bauzeit hat drei Jahre betragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2011)

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