Kosovo: Gewalt gefährdet Serbiens EU-Kurs

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Bei Zusammenstößen wurden auch elf österreichische Soldaten verletzt. Ob die EU Serbien den Kandidatenstatus zuspricht, ist nach der jüngsten Gewaltwelle unklar.

Jagnjenica/Prishtina/Wien. Einen Tag nach den Zusammenstößen von Jagnjenica standen die serbischen Anwohner am Dienstag wieder auf der Straße – und die Soldaten der Kosovo-Schutztruppe ebenfalls. Durch Lautsprecher forderten die Kfor-Soldaten die Anwesenden auf, keine neuen Barrikaden aus Baumstämmen, Blechteilen und Schutt zu errichten, wie es zuvor passiert war. „Wenn Lastwagen hier Schutt abladen, dann schießen wir“, lautete die gestrenge Lautsprecheransage.

Womöglich wären es diesmal Schüsse mit scharfer Munition gewesen: Bisher hat die Kfor gegen die Demonstranten nur Gummigeschosse eingesetzt, nach dem Zwischenfall am Montag kündigte man nun eine härtere Gangart an. In Jagnjenica seien am Dienstag keine weiteren Gewalttaten vorgefallen, erklärte Kfor-Sprecher Uwe Nowicki gestern der „Presse“.

Das nordkosovarische Dorf war am Montag Schauplatz schwerer Zusammenstöße zwischen Serben und der Kosovo-Schutztruppe geworden, die die Straßensperre aus dem Weg räumen wollte. Schon seit Ende Juli halten serbische Bewohner des Kosovo die wichtigsten Verkehrswege unter Blockade, um gegen die Anwesenheit kosovarischer Zöllner an den zwei Grenzübergängen im Nordkosovo zu protestieren.

Krankentransport nach Österreich

Neben 40 Serben sind auch 30 internationale Soldaten nach Angaben des Kfor-Sprechers verletzt worden, darunter elf Österreicher. Sieben von ihnen sollen am Mittwoch zurück nach Österreich gebracht werden. Das bestätigte das Verteidigungsministerium am Dienstagabend. Die Soldaten werden mit der Transportmaschine Hercules C-130 voraussichtlich um 17 Uhr in Linz landen. 

Ein österreichischer Soldat war nach einer schweren Verletzung im künstlichen Tiefschlaf versetzt, er wachte aber mittlerweile wieder auf. Nach Angaben von Verteidigungsminister Norbert Darabos besteht keine Lebensgefahr.

Waren die Österreicher womöglich nicht ausreichend ausgerüstet? Michael Bauer, Sprecher des Verteidigungsministeriums, dementiert: „Dank der guten Ausrüstung ist nicht mehr passiert. Wenn 300 Demonstranten auftauchen ist es logisch, dass es Probleme gibt.“ Österreich will nun sein Kontingent von 150 Mann um weitere 120 Mann verstärken.

Bei der Kfor-Leitung in der kosovarischen Hauptstadt Prishtina will man auch nach dem Zwischenfall weiter an der – wie Kfor-Sprecher Uwe Nowicki es nennt – „Durchsetzung der Bewegungsfreiheiten“ festhalten, die etwa ein Dutzend verbliebenen Straßensperren sollen geräumt werden. Allerdings ähneln die Räumarbeiten immer mehr einem Katz-und-Maus-Spiel: Meistens werden die Straßensperren nach ihrer Entfernung wieder in der Nähe aufgebaut. Sogar „wilde“ Grenzübergänge werden von den Serben eröffnet, bis die Kfor sie wieder schließt.

Vor wenigen Tagen hat der deutsche Kfor-Oberkommandant Erhard Drews in einem Interview erklärt, seine Truppe könne den Konflikt nicht lösen. „Das Militär ist schwerlich in der Lage – Kfor hat auch nicht die Absicht – die Straßensperren mit Gewalt zu räumen“, sagte er der „Bundeswehrzeitung“. Für ihn sei klar, dass seine Soldaten keine Barrikade auflösen, die in großer Zahl von Serben verteidigt werden. Das seien Polizeiaufgaben. Das Problem: Die Polizisten der EU-Auslandsmission Eulex sind durch die Barrikaden ebenfalls kaltgestellt.

Die Pattsituation scheint nur durch politischen Willen am Verhandlungstisch lösbar. Doch die Serben im Nordkosovo haben daran wenig Interesse – noch halten sie auf der Straße durch. Belgrad, das die Bewegung anfangs gutgeheißen hat, geht mittlerweile auf Distanz. Der serbische Präsident Boris Tadić ließ aufhorchen, als er gestern sagte, dass „die Barrikaden nicht zur Verteidigung der nationalen Interessen Serbiens“ beitrügen. „Im Gegenteil, sie gefährden sie.“

Zittern über EU-Entscheidung

Denn Belgrads EU-Annäherung steht wegen des Kosovo auf der Kippe. Am nächsten Freitag (9. 12.) sollen die EU-Regierungschefs entscheiden, ob Serbien den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten erhalten soll. Je verfahrener die Lage im Kosovo, desto weniger wahrscheinlich ist eine positive Entscheidung. Insbesondere Deutschland, Frankreich und Großbritannien hätten sich noch nicht festgelegt, heißt es aus EU-Kreisen. Trotz der Zwischenfälle findet heute eine weitere Dialog-runde in Brüssel statt. Auf der Tagesordnung stehen konfliktträchtige Themen: die Teilnahme des Kosovo an regionalen Treffen – und das Thema Grenzkontrollen.

Chronologie

Straßenblockaden. Im von Serben dominierten Nordkosovo kommt es seit Ende Juli zu Gewalt. Kosovarische Polizisten wollten zwei Grenzübergänge übernehmen, um sie unter die Kontrolle der Regierung in Prishtina zu bringen. Die Kfor schritt ein. Zuvor waren an den Grenzübergängen Beamte der EU-Rechtsstaatsmission Eulex stationiert. Seitdem blockieren Serben an mehreren Orten die Verkehrswege.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2011)

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