Guttenberg: Auf Kriegsfuß mit Fußnoten und Parteien

(c) Dapd (Oliver Lang)
  • Drucken

Der gefallene Politstar löste viel Aufregung mit seinem eben erschienenen Interviewbuch aus. Diese ist nicht immer nachvollziehbar. Drei Tage lang interviewte di Lorenzo, Karl Theodor zu Guttenberg.

Er erklärt es auf mehr als 60 von 207 Seiten, und er erklärt es in jeder nur erdenklichen Form: Es sei keine Absicht gewesen. Es sei passiert. Auch wenn er einen „ungeheuerlichen Fehler begangen habe, den ich auch von Herzen bedauere“. Karl Theodor zu Guttenberg, Ex-Wirtschafts- und späterer Verteidigungsminister Deutschlands, hat in einem als Buch erschienenen Interview mit „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo („Vorerst gescheitert“) zu seiner plagiierten Doktorarbeit, die ihn Titel und Amt gekostet hat, Stellung genommen.

Drei Tage lang interviewte di Lorenzo den von seinen Fans oft „KT“ genannten Guttenberg in einem Londoner Hotel. Wieder und wieder versucht er in ähnlich gestellten Fragen das Eingeständnis vorsätzlicher Täuschung aus Guttenberg herauszukitzeln, dessen Antworten drehen sich im Kreis. Plagiat ja, Absicht nein. Auf 80 Datenträgern will er seine Arbeit verteilt gehabt haben, Texte, deren Quellen er „später entsprechend aufarbeiten“ wollte.

„Stimmt das jetzt?“

Dass di Lorenzo schließlich doch noch irgendwie zum Ziel kommt und Guttenberg sich in einen fundamentalen Widerspruch verwickelt, kann man hinter dem Wust an ähnlichen Fragen und Antworten um ein Haar übersehen: „Nach fünf, sechs Jahren konnte ich den Fußnotenapparat nicht mehr richtig überprüfen: Stimmt das jetzt, ist das jetzt genau der Bezugspunkt, ist das der Text?“, räumt Guttenberg ein. Das ist interessant: Er wusste also um die Unzulänglichkeit der Belege – Quellen, die man nicht mehr zuordnen kann, dürfen in einer wissenschaftlichen Arbeit keinesfalls verwendet werden – und hat die Arbeit trotzdem eingereicht. Er hat also absichtlich Täuschungen, von deren Vorhandensein er ausgehen musste, in Kauf genommen. Das kann man durchaus vorsätzliche Täuschung nennen.

Eine (Ent-)Täuschung ist das Buch selbst, das sich zu einem nicht kleinen Teil als inhaltsarm und redundant entpuppt. Je mehr Seiten man hinter sich bringt, desto weniger versteht man die Aufregung darüber.

Ja, Guttenberg greift die politische Klasse an, der er angehört hat: Mehrfach beklagt er die mangelnde Tiefe der Debatten in der Politik. Hat er da etwa unrecht? Und hat er gleichzeitig nicht selbst seinen Beitrag dazu geleistet? Er beklagt mangelnde Kenntnisse vieler Volksvertreter und Minister angesichts komplexer Problem-Cocktails wie der Finanzkrise: „Ich wage zu sagen, dass sehr viele noch nicht mal das kleine Einmaleins dieser ökonomischen Mechanismen kennen.“ Das hat der eine oder andere Leitartikler bereits vermutet. Und dass sich CSU-Chef Horst Seehofer aufregt, wenn Guttenberg die Selbstbeschreibung der Partei in Zweifel zieht, sie sei die „letzte verbliebene Volkspartei“, könnte daran liegen, dass die Diagnose stimmt. Guttenberg zeiht die CSU der Hybris – ein Thema, bei dem er sich laut seinen Kritikern ja auskennen müsste.

Keine Angst vor Widersprüchen

In Summe erschließt sich aus Guttenbergs Einlassungen sein Idealtyp eines Politikers: Unabhängig, sachkundig, guter Kontakt zum Wahlkreis, prinzipienfest. Wer könnte da widersprechen? Freilich schimmert deutlich durch, dass Guttenberg zumindest einen kennt, der diese Ansprüche erfüllt – er selbst.

Die klügsten Passagen des Buches sind jene zum Thema NS-Widerstand, in denen Guttenberg auch familiengeschichtlich hohe Glaubwürdigkeit besitzt.

Der Freiherr ist ganz der alte geblieben: Er strotzt vor Selbstbewusstsein, hat das griffige – und gute – Formulieren nicht verlernt, schert sich wenig um Widersprüche (er nennt sich „Instinktpolitiker“, betont aber immer wieder die Notwendigkeit gründlicher Reflexion). Aus dem Westen – Guttenberg lebt derzeit in den USA – also wenig Neues. Das dafür 207 Seiten lang. Subtext S. 25

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.