Internet: „Eine gigantische Effizienzmaschine“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Blogger Fahrnberger über Vorteile und Schattenseiten des Internets: Debatte statt Frontalberichte, tolle Netzwerke für Recherchen versus Staatskontrolle und zu viel Macht in privater Hand.

Helge Fahrnberger ist nicht der typische Universitäts-Lehrende: „Ich bin Quereinsteiger, habe weder im Journalismus gearbeitet noch eine journalistische Ausbildung.“ Warum ihn das Publizistikinstitut der Uni Wien für den Lehrgang Online-Journalismus angeheuert hat, erklärt er sich so: „Ich vermute, weil ich blogge.“ Fahrnberger tut es auf „der Metaebene“: Er bloggt quasi übers Bloggen respektive über die Auswirkungen, die die Bidirektionalität (die Datenübertragung in beide Richtungen) für Medienkonsumenten, Journalisten und Publizierende hat (www.helge.at).

Gemeinsam mit Studierenden betreibt er auch den „Medienwatchblog“ Kobuk. Der Name ist Programm: Hat doch 1951 ein gewisser Helmut Qualtinger die heimischen Tageszeitungen an der Nase herumgeführt, als er die Ankunft eines Eskimo-Autors namens Kobuk in Wien ankündigte – den gab es gar nicht, was sämtliche Tageszeitungen nicht hinderte, Kobuks fiktive Werke in den höchsten Tönen zu loben. Der Blog führt zwar niemanden aufs Eis, dekuvriert aber Fälle, in denen Zeitungen Leser manipulieren oder für dumm verkaufen. Dort findet sich das nie gegebene „Heute“-Interview von Patricia Kaiser über „Die eine Sekunde, die unser Leben rettete“ und die „Krone“-Konzertkritik über den abgesagten Auftritt von George Michael in Wien. „Wenn ich in der Zeitung Blödsinn schreibe, kann ich hoffen, dass es nicht zu vielen Menschen auffällt. Wenn man aber wie im Internet einen Rückkanal hat, geht das gar nicht, dass man einen Fehler nicht erfährt. Es wird sehr kritisch konsumiert, durchaus partizipativ.“

Wenn man Zeitungen nicht trauen kann – was ist mit dem Internet, in dem sich jeder hinter der Anonymität verstecken kann? „Zu entscheiden wem ich im Internet ver- und wem ich misstraue, das ist eine Frage der Medienkompetenz – eine Kulturtechnik.“ Medienkonsumenten hätten gelernt, Quellen zu misstrauen: „Wikipedia enthält Fehler. Aber dann hat man die Britannica, den Brockhaus etc. verglichen und dort ebenso Fehler entdeckt. Also heißt die Kulturtechnik: Hinterfrage deine Quellen.“

Sorge vor dem „Polizeistaat“

Wegen schwarzer Schafe gleich die Anonymität im Internet infrage zu stellen, hält Fahrnberger für den falschen Weg. „Das wäre ja, wie wenn es am Stammtisch eine Ausweis- und Speicherpflicht gäbe. Das würde sehr schnell in Richtung Polizeistaat gehen.“ Außerdem habe auch „Heinzi 34“ im Internet eine Identität: „Der hat einen Ruf, eine Reputation – man weiß, wie er oder sie sich in der Vergangenheit verhalten hat.“

Das sei vor allem bei Onlineforen wichtig, die kaum moderiert sind, wo also jeder schreiben kann, was er will. „Dann muss ich auf die Identität des Autors zurückgreifen. Und wenn ich sehe, der hat bisher lauter gescheite Sachen geschrieben, hilft mir das – wenn es lauter Blödsinn war, dann auch.“ Und wenn man sich selbst bei einem Thema nicht auskennt? „Dann kann ich schauen: Wie haben die anderen bisher auf diesen Menschen reagiert?“ Das unterscheide Online-Journalismus vom klassischen: „Bei gut gemachtem Online-Journalismus hat das Gesamterlebnis mit den Reaktionen der Leser zu tun.“ Es gebe nicht einen Artikel, der so bleibt, wie er zu Redaktionsschluss war, sondern: „Das Thema interagiert mit dem Publikum“ – durch Reaktionen der User. Statt Frontalberichterstattung entsteht eine Debatte. „Wenn man halbwegs viel Publikum hat, kann man davon ausgehen, dass die Summe des Know-how der User größer ist als das, was man selber herausfinden kann.“ Deshalb sei auch das soziale Kapital besonders wichtig – zum Verbreiten von Inhalten ebenso wie für die Recherche.

„Nehmen wir z.B. Armin Wolf: Der hat etwa 32.000 Follower auf Twitter. Das ist nicht viel – jede Bezirkszeitung hat mehr Leser. Aber stellen Sie sich vor, wenn einige davon in ihren eigenen Netzwerken darüber informieren, was er publiziert...“ Auf solche Kontakte könne ein Journalist auch bei der Recherche zurückgreifen: „Wenn ich wegen der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche mit Betroffenen reden will, finde ich die in so einem Neztwerk wahrscheinlich.“

Das Internet sei also „eine gigantische Effizienzmaschine“ – im Guten, aber auch im Schlechten. Fahrnberger nennt zwei Bedrohungen: Das eine ist der Staat als Überwacher. „Da gibt es bedenkliche Trends: Vorratsdatenspeicherung, Internetsperren, Zensur. In der Türkei versuchen die Machthaber eine ähnlich restriktive Infrastruktur aufzubauen wie in China. In Deutschland wurde auf Druck der Content-Industrie versucht, unter dem Mantel des Kampfes gegen Kinderpornografie bestimmte Websites durch virtuelle Stoppschilder zu ersetzen, mit Hilfe von geheimen Zensurlisten, die sich jeder Kontrolle entziehen.“

Google hat Wissen wie die CIA

Das zweite sind die Wirtschaftsmonopole: Hollywood, Musikindustrie, Google, Apple, Amazon. „Da halte ich es nicht für so problematisch, dass die ein relativ genaues Profil von mir haben – dann sollen sie mir maßgeschneiderte Werbung liefern, solange sie keinen Behörden Zugriff geben.“ Problematischer sei die „Intelligence“: dass Google anhand von Data-Mining der Suchabfragen schon von vielen Dingen vor der breiten Öffentlichkeit weiß – etwa von der Revolution in Tunesien oder der nächsten Grippewelle. Hier verfüge Google über Informationen, noch bevor Geheimdienste oder Gesundheitsbehörden davon wissen. „Dann weiß man vielleicht vor den Börsen, ob man eine Aktie kaufen soll oder nicht. Das ist Intelligence – dafür wurde die CIA gegründet. Und auf einmal hat das ein Privatunternehmen. Das ist heikel.“

Zur Person

Helge Fahrnberger ist Blogger (www.helge.at; www.kobuk.at), Internet-Unternehmer und lehrt an der Uni Wien. Er startete vor der Wien-Wahl 2010 eine Initiative für eine demokratischere Kandidatenauswahl der Grünen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2011)

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